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  Sommer 2017

G20: Freiheit für alle Gefangenen!
Weg mit allen Anklagen!

Hexenjagd auf Linke nach
Polizeistaats-Gipfel in Hamburg


Hamburg, 6. Juli: Wasserwerfer und Panzer blockieren tausende Anti-G20-Demonstrante.
(Foto: Radio Dreyeckland)

Der nachfolgende Artikel erschien zuerst auf internationalist.org (20. Juli), Website der Liga für die Vierte Internationale.

HAMBURG – Es war wie eine Szene aus Apocalypse Now, bis hin zum unaufhörlichen Dröhnen von Hubschraubern am Nachthimmel. Dazu gehörten auch zwei Chinooks der US-Armee, bewaffnet mit Maschinengewehren, Granatwerfern und leistungsstarken Störsendern – ein kleiner Eindruck von imperialistischem Krieg inmitten einer europäischen Metropole. Am 7. und 8. Juli wurden fast 20 000 Polizisten aus ganz Deutschland und auch Nachbarländern hereingebracht und entfesselt um die G20-Versammlung internationaler ­Potentaten zu schützen. Es gab neben Hubschraubern, auch Panzer, eine Flotte von Wasserwerfern, plus Phalangen schwer bewaffneter und gepanzerter Polizisten. Die dutzenden Wasserwerfer richteten sich natürlich nicht gegen irgendeine terroristische Bedrohung, sondern gegen friedliche Demonstranten.

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel und die CDU war es eine Win-Win-Situation. Merkel konnte mit leerer Rhetorik über Klimaschutz als Führerin der Welt posieren (in den USA bemerkte die Mainstream-Presse mit Entsetzen, dass Donald Trump, trotz seiner Tête-à-Têtes mit Russlands Präsident Wladimir Putin, auf dieser Konferenz isoliert war). Mit Blick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen konnten sie im Falle von Ausschreitungen die in Hamburg regierenden Sozialdemokraten dafür tadeln, nicht „Law and Order“ durchgesetzt zu haben. Aber die SPD, die das Scheitern der Bewerbung für die Olympischen Spiele wettmachen wollte, konnte schwerlich zugeben, die Kontrolle über eine ihrer städtischen Hochburgen zu verlieren. 

Also bekamen sie natürlich ihre Krawalle. Das Fernsehen bekam Videos von brennenden Luxusautos und maskierten Steinewerfern des Schwarzen Blocks. Die Boulevard-Presse konnte mit hysterischen Schlagzeilen aufwarten (Hamburger Morgenpost: „Hamburgs gefährlichste Nacht“, „Showdown in der Schanze“, „Außer ­Kontrolle“, „Schlacht am Hafen“). Die Polizei hatte Gelegenheit, ihr Arsenal zur Unterdrückung von Massenunruhen gegen Demos von Tausenden und ganze Stadtteile auszuprobieren. Konservative Politiker konnten Schauermärchen über marodierende Linke erzählen, um so abzulenken von den Nazis und rassistischen Hooligans, die ständig Migranten und Muslime angreifen. Die große Verliererin war die SPD, und sie stimmte bald in das Geschrei nach hartem Durchgreifen gegen autonome Linke ein.

Die internationale Presse übernahm die Story von Randalierern, die unerwartet das Demokratie-Festival störten und eine Kanzlerin blamierten, die inständig um friedliche Proteste gebeten habe. Aber die Behörden hatten die Gewalt schon lange geplant, bevor der Gipfel überhaupt begann. Die Polizei hatte von Anfang an ein Demonstrationsverbot gefordert. Die immensen Kosten, bundesweit Hundertschaften zu mobilisieren (paramilitärische Verbände der Bereitschaftspolizei nach dem Vorbild römischer Zenturien), inklusive Millionen von Euros für Polizeiüberstunden, sorgten dafür, dass sie auch eingesetzt wurden. Ein Sondergefängnis und -gericht, mit winzigen Zellen für hunderte Gefangene, wurde in Containern hinter NATO-Draht eingerichtet, um im Schnellverfahren Urteile zu fällen. Die ganze Veranstaltung war eine Übung in städtischer Aufstandsbekämpfung.

Diese Gipfel, für die Herrschenden bloße Anlässe für Fototermine und markante Zitate, bringen oft den Tod in ihrem Gefolge. So tötete die Polizei Carlo Giuliani beim G8-Gipfel in Genua 2001 und Ian Tomlinson beim G20-Gipfel in London 2009. Sie sind immer geprägt von massiven Angriffen auf demokratische Rechte, wie beim letzten Gipfeltreffen in Deutschland (2007 in Heiligendamm), und von ungezügelter Polizeigewalt, einschließlich regelrechter Folter von Gefangenen wie im Falle von Genua. Es ist offenbar notwendig, hieran zu erinnern, angesichts der allseitigen Verurteilung von sinnloser Gewalt und Vandalismus, mutmaßlich begangen von einigen Demonstranten, die benutzt wurde, um jedweden Protest gegen den massiven Polizeistaatsterror zu übertönen.

Aber dies war nicht einfach nur mehr vom Selben: Die neue Weltordnung, die Washington nach der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion und der bürokratisch-deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas verkündete, fällt auseinander. Das letzte Vierteljahrhundert ständiger Kriege der US/NATO-Kriegstreiber brachte keine Siege. Stattdessen versinken die Imperialisten in einem Morast nach dem anderen, vom Balkan zum Nahen Osten, von Nordafrika bis Zentralasien, und provozierten eine riesige Flüchtlingskrise. Gleichzeitig stecken sie seit 2007/2008 in einer kapitalistischen Weltwirtschaftskrise. Mit dutzenden Millionen von Arbeitslosen wird das Wachstum faschistischer und rassistischer Kräfte befeuert, genau wie der Aufstieg von linkem Populismus.

In diesem wachsenden Chaos und angesichts erschwerter Regierungsführung, können sich die geizigen Banker von Brüssel, Frankfurt, City of London und Wall Street eigensinnige populistische Politiker gefügig machen – wie Alexis Tsipras in Griechenland oder Bernie Sanders in den USA –, wie auch reformistische Sozialdemokraten wie Jeremy Corbyn in Britannien. Friedliche, gesetzestreue Massendemonstrationen und sogar impotente eintägige Generalstreiks (Warnstreik + Parade) gegen Sparmaßnahmen wie in Griechenland können sie verkraften. Sie werden sich auf die Machtstrukturen (auch bekannt als tiefer Staat) stützen um Querschläger wie Trump im Zaum zu halten. Aber die Herrschenden von Washington bis Berlin brauchen einen einsatzbereiten Polizei/Militär-Apparat, um innere Unruhen niederschlagen zu können, die früher oder später kommen werden.

Das steckt hinter dem Polizeistaatsterror von Hamburg, oder auch der massiven Polizeimobilisierung einen Monat früher zum Schutz von Faschisten im amerikanischen Portland (Oregon). Das steckt hinter der Paramilitarisierung der Polizei überall in der kapitalistischen Welt, besonders deutlich zu sehen bei den Belagerungen der US-Städte Ferguson 2014 und Baltimore 2015. Zur Unterdrückung von Sioux-Indianern in Standing Rock in North Dakota, oder von Demonstranten im Hamburger Hafen, wird lokale Polizei mit der gleichen Panzerung und schweren Bewaffnung ausgerüstet, wie die imperialistischen Truppen in Irak und Afghanistan. Der Ausnahmezustand in der Hansestadt wurde weit im Voraus angekündigt. Er hätte mit Arbeitermobilisierung gegen den Terror-Gipfel beantwortet werden sollen, den dreiviertel der Stadtbevölkerung sowieso nicht in Hamburg haben wollten.

Stattdessen gibt es ein elendes Theater unterwürfiger Sozialdemokraten und sozialdemokratisierter Linker, die das Gejammer von Boulevardpresse und Law-and-Order-Politikern über sinnlose Gewalt der anarchoiden Autonomen nachplappern. Anstatt über Störenfriede zu lamentieren, die das Bild von fröhlich-friedlichen Demos, Podiumsdiskussionen und Straßenfesten besudeln, verstehen authentische Kommunisten die Wut, die diese Gipfel mit ihrer obszönen Zurschaustellung von imperialistischer Arroganz provozieren. Wir beschweren uns nicht über zu radikale Demonstranten, sondern erklären, dass Steinewerfen und Feuerwerkskörper keine Polizeimacht stoppen können, die für Bürgerkrieg gerüstet ist. Und, dass das Ziel, das reibungslose Funktionieren dieser imperialistischen Tagungen zu beeinträchtigen, doch ein sehr begrenztes und temporäres ist. Um eine Revolution zu führen, die den Kapitalismus mit der Wurzel ausreißt, müssen wir das millionenstarke Proletariat unter Leitung einer revolutionären, leninistisch-trotzkistischen Partei mobilisieren.

Festung Hamburg


Die paramilitärische Polizei in Hamburg, in voller Kampfmontur beim G20-Gipfel. Um die Stadt unter Notstand zu stellen und die Demonstranten systematisch anzugreifen, provozierten die Behörden die "Unruhen", die sie von Anfang an wollten. (Foto: Bodo Marks/dp)

Die Polizei warnte vor einem beispiellosen Maß an Gewalt rund um den Gipfel, und machte es zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Sie verwandelte die Stadt in eine Festung mit dem größten Einsatz in ihrer Geschichte (Spiegel Online, 19. Juni). Das zivile Gesicht dieser Militäroperation waren SPD-Bürgermeister Olaf Scholz und Innensenator (also Polizeiminister) Andy Grote. Falko Droßmann (ehemaliger Luftwaffen-Offizier, Absolvent der Universität der Bundeswehr Hamburg), SPD-Chef in Hamburg-Mitte, begann die Vorarbeit mit dem Versuch, alle Obdachlosen zu vertreiben. Und Einsatzleiter war Hartmut Dudde, Hamburgs Oberbulle und Erfinder der „Hamburger Linie“, also harter Polizeirepression gegen Linke. 2015 ließ Dudde die faschistische NPD mit einem Lautsprecherwagen durch eine Gruppe antifaschistischer Demonstranten pflügen.

Die Polizei trainierte schon Monate im Voraus den Häuserkampf (Der Spiegel, 8. April). Sie begannen damit große Teile der Hamburger Innenstadt zur versammlungsfreien Zone zu erklären – ein Sperrgebiet von 38 km². Als nächstes verweigerte die Polizei Demonstranten von außerhalb das Zelten in einem städtischen Park. Der Campingplatz war gerichtlich genehmigt. Aber am Sonntag vor dem Gipfel, am 2. Juli, versperrte die Polizei Demonstranten den Zugang zum Park und konfiszierte ihre Zelte. Als ein Gericht entschied, dass sie dort doch schlafen könnten, schickte die Polizei am Dienstag hunderte Bereitschaftspolizisten, um die Lieferung von Nahrungsmitteln an diesen „sicheren Hafen für Kriminelle“ zu verhindern. (Sollte ein Gericht natürlich einen Naziaufmarsch genehmigen, was regelmäßig geschieht, setzt die Polizei diesen Beschluss buchstabengetreu um.)

Am Donnerstag, 6. Juli, dem Vortag des Gipfels, organisierten Autonome eine Massendemonstration unter dem Slogan „Welcome to Hell“. Tausende beteiligten sich. Tagelang verbreitete die Polizei Schauergeschichten von 8 000 nach Hamburg kommenden gewaltbereiten Linken. So konnte die Demo kaum losgehen, als sie nach wenigen hundert Metern bereits von einem Wall von Polizisten, monströsen gepanzerten Mannschaftswagen und riesigen WaWe-10 000-Wasserwerfern aufgehalten wurde. (Wasserwerfer sind potenziell tödliche Waffen, wie es sich in Südkorea, der Türkei und Deutschland gezeigt hat. So wurde 1985 Günter Sare in Frankfurt/Main getötet.) Von der Polizei mit Pfefferspray attackierte Demonstranten versuchten panisch eine Mauer hochzuklettern, wurden aber runtergerissen und verprügelt.

Die Ausrede für diesen Angriff am Hafen, der eindeutig unprovoziert war (wie auch in der Live-Ãœbertragungen gut zu sehen war), war angeblich die Anwesenheit von einigen vermummten Demonstranten, dem berüchtigten Schwarzen Block.1 Vermummung bei Demonstrationen ist seit 1985 in Deutschland verboten. Dieses Verbot wird von schwarzgekleideten, maskierten Polizisten durchgesetzt, die also nicht von denjenigen identifiziert werden können, die von ihnen zusammengeschlagen werden. Natürlich genügt es, ein paar Agents Provokateurs in irgendeine Demo zu schmuggeln, um ihre Auflösung zu rechtfertigen. Hamburg ist berüchtigt für den Einsatz von verdeckt arbeitenden Polizisten, die linke Milieus infiltriert haben. Es ist öffentlich bekannt, dass solchen Beamten befohlen wurde, Steine oder Flaschen auf Polizisten zu werfen, um einen Polizeiangriff zu provozieren (Hamburger Abendblatt, 18. Oktober 2012).

Die Krawalle (d. h. Polizeiübergriffe) setzten sich dann am folgenden Tag (Freitag, 7. Juli) fort, einschließlich Drohungen gegen, sowie physischen Angriffen auf Erste-Hilfe-Teams und klar gekennzeichnete Journalisten. Dieses Mal wurden Leute sogar schon angegriffen bevor sie den Startpunkt der antikapitalistischen Demo „G20 entern! Kapitalismus versenken“) erreicht hatten. Während die Mächtigen sich die „Ode an die Freude“ aus Beethovens 9. Sinfonie in der eleganten Elbphilharmonie anhörten, wurden die Demonstranten draußen auf der Straße mit Pfefferspray und Wasser beschossen. Viele zogen sich in das Schanzenviertel zurück, ein traditionell linker Bezirk, und warfen einige Wasserflaschen und Feuerwerkskörper. So wurde die nötige Bühne bereitet für die polizeilich eingefädelten Krawalle der Nacht.

Straßenbarrikaden wurden in Brand gesetzt, Autos und eine Bank angezündet, ein Supermarkt und ein Laden wurden verwüstet. Um etwa 23 Uhr wurden Trupps von Robocops vom Gipfel-Gelände gebracht um die Schanze militärisch zu stürmen, von Haus zu Haus zu gehen, und mit Spezialmunition Türen aufzuschießen. Später wurde behauptet, die Polizei hätte die Kontrolle über die Stadt verloren. Jedoch beschränkten sich die Ausschreitungen auf wenige Straßenecken, und die Polizei ließ sie eindeutig geschehen.2 Sie wollten die Fotos brennender Barrikaden (die direkt neben der Polizei und ihren Wasserwerfern entzündet wurden und stundenlang brannten). Aktionen von Provokateuren, wahrscheinlich einschließlich Faschisten, können sicherlich nicht ausgeschlossen werden. Ziel war es offensichtlich, die Proteste zu diskreditieren und Hysterie über den Schwarzen Block zu schüren.

Am nächsten Tag gab es eine massive Abschlussdemonstration von bis zu 100 000 Menschen („Grenzenlose Solidarität statt G20!“), mit einer ganzen Reihe von liberalen, ökologischen und linken Gruppen, einschließlich türkischer und kurdischer Kontingente. Die Organisatoren erlagen nicht der Versuchung der Polizei, Antikapitalisten und Autonome anzuprangern. Auch diese Demonstration wurde von der Polizei bedrängt, die sogar einen Bus von sozialdemokratischen Jugendlichen überfiel um sie erkennungsdienstlich zu behandeln. Nicht nur vermummte Demonstranten, sondern alle mit schwarzer Kleidung waren im Fadenkreuz. Die Polizei attackierte Menschen, die sich um die Rote Flora versammelten (ein altes besetzten Theater, das als autonomes Zentrum dient), mit Wasserwerfern und Tränengas, und provozierte so endlich das Steinewerfen, mit dem dann rückwirkend alles gerechtfertigt werden konnte.

Im Zuge der paramilitärischen Polizei-Mobilisierung wurden gewaltsame Durchsuchungen des Internationalen Zentrum B5, eines Kinos nebenan und mehrerer Wohnungen durchgeführt, auf der Grundlage von fadenscheinigen Informationen (vom Verfassungsschutz, dem Inlandsgeheimdienst), dass Verbrechen vorbereitet würden. Die Polizei organisierte ein Gefängnis in Harburg (das vorher für Flüchtlinge genutzt wurde), mit 50 Einzelzellen die so klein sind, dass sie für Tierhaltung unzulässig wären. Während der Operation wurden 228 vorübergehende Festnahmen und 186 Verhaftungen gemeldet. Für über 50 wurde Untersuchungshaft bis zum Prozess angeordnet. Hamburgs Bürgermeister Schulz ruft nach harten Urteilen gegen angebliche Straftäter. Permanente Revolution fordert, alle beim Gipfel verhafteten Demonstranten freizulassen und alle Anklagen fallen zu lassen.

Die Verbrecher sind die Bullen und ihre Chefs, die die Polizeistaats-Repression befohlen haben.

Zwischenzeitlich behauptete die Polizei, dass 476 Beamte während des Gipfels verletzt worden waren, wofür sie Demonstranten verantwortlich machte. Später wurde diese Zahl auf 231 reduziert, von denen über 90 Prozent am nächsten Tag wieder einsatzbereit waren (Die Tageszeitung [taz], 14. Juli). Von den 150 hessischen Polizisten, die als verletzt gemeldet wurden, wurden 130 vom eigenen Tränengas getroffen (Allgemeine Zeitung [Mainz], 9. Juli). Von 132 verletzt gemeldeten Polizisten aus Berlin, litten die meisten unter Rauchgranaten und Pfefferspray, also ihren eigenen repressiven Maßnahmen. Und das war die zweite Gruppe von Berliner Polizisten beim G20-Gipfel, nachdem 220 von den Hamburger Beamten wieder nach Hause geschickt wurden, wegen einer betrunkenen Orgie in ihren Wohncontainern (Berliner Zeitung, 28. Juni).

Das Nachspiel: Hexenjagd gegen Linke


Robocops greifen Demonstranten in Hamburg am 7. Juli an. Es war alles eine Übung in städtischer Aufstandsbekämpfung. (Foto: Hamburger Morgenpost)

Im Nachgang gibt es einen riesigen Aufschrei und Forderungen nach hartem Durchgreifen gegen die Linke. Bürgermeister Scholz und seine Leute behaupten, von Ausmaß und Tiefe der Unruhen überrascht worden zu sein. Jedoch machten sie wochenlang Lärm über Tausende von gewalttätigen Anarchisten, die zur Hansestadt unterwegs seien, und es waren gewalttätige Ãœbergriffe der Polizei, die die Krawalle provozierten. Christdemokraten und Boulevardpresse fordern Scholz‘ Rücktritt, während die grünen Koalitionspartner der SPD auf Tauchstation gegangen sind. Als Reaktion darauf stimmte der Bürgermeister in die wilden Denunziationen der Rote-Flora-Autonomen ein, und beschuldigte sie und andere Linksradikale damit, Ausschreitungen zu fördern, geistige Brandstiftung zu betreiben, sowie einen kriminellen Mob eingeladen zu haben – womit er nicht die G20 meinte.

Auf Bundesebene wird die gleiche tollwütige Rhetorik von der großen Koalition aus CDU/SPD verwendet, die vier Fünftel der Sitze im Bundestag hält. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verurteilte die „Chaoten“ und rief dazu auf, die gleiche harte Linie gegen Linksextremismus zu fahren, wie gegen Rechtsextremismus (Stern, 10. Juli). Wir nehmen mal an, dass er nicht meint, Linke zu finanzieren und ihnen freien Lauf zu lassen, so wie die Regierung es mit Rechtsextremen macht. Vielmehr will er Linke aus der Roten Flora räumen lassen, genau wie aus besetzten Häusern in Berlin und Leipzig-Connewitz. Um nicht übertroffen zu werden, forderte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) andere EU-Regierungen auf, so schnell wie möglich deutsche Haftbefehle umzusetzen, um „Krawall-Tourismus“ zu stoppen. Außerdem fordert er eine EU-weite Datenbank von Linksextremisten. Die Presse spielte die Zahl nichtdeutscher Verhafteter hoch.

Die Hexenjagd von SPD/CDU und Medien richtete sich sogar gegen die sozialdemokratische Linkspartei, die einige Polizeitaktiken vorsichtig kritisierte. Diese Reformisten beteiligten sich aber auch an dem Chor, der die Demonstranten verunglimpfte. So verurteilte die Ko-Vorsitzende Sahra Wagenknecht Gewaltexzesse, die friedliche Proteste nur diskreditieren könnten. Die LINKE-Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak schimpfte über „Randaleidioten“, während der Berliner Linkspartei-Vorsitzende (und Kultursenator) Klaus Lederer zu entschlossenem Vorgehen gegen Krawallmacher aufrief (Der Tagesspiegel, 11. Juli). Ein Flügel der Hamburger Linkspartei-Jugendorganisation Solid drohte, jeden an die Behörden auszuliefern der „Gewalt gegen unsere GdP-Kollegen“ (Polizei„gewerkschaft“) ausübt. In einem Facebook-Posting (7. Juli) drohen sie grotesk: „Wir wissen wo ihr schlaft und werden uns nicht scheuen, die Kollegen der GdP-Hamburg in den frühen Morgenstunden zu euren Schlafzelten und Schlafplätzen zu leiten!“

Ein anderer Solid-Flügel, rund um die SAV (Sozialistische Alternative, Teil des Committee for a Workers International [CWI] von Peter Taaffe), kritisierte diesen beschämenden Aufruf und Versuche der Polizei, Demonstranten in friedlich und gewaltbereit zu spalten. Allerdings behauptet die SAV, Polizisten seien lediglich „Arbeiter in Uniform“ und kritisiert autonome Taktiken, die Auseinandersetzungen mit der Polizei provozieren würden (sozialismus.info, 9. Juli). Zwei Tage später attackierten sie die Organisatoren der Welcome-to-Hell-Demo für ihre martialischen Mobilisierungsmaterialien, die der Polizei Munition gegen die Proteste geliefert hätten. Anstatt linke Opfer einer Hexen­jagd zu verteidigen, forderte die SAV dazu auf „sich von den Dummheiten von Teilen der autonomen Szene abzugrenzen“ (sozialismus.info, 11. Juli).

Dies ist Standard für die Sozialdemokraten der Linkspartei und die verschiedenen angeblichen Trotzkisten, die sich in diesem reformistischen Sumpf tummeln – von der SAV, über die Anhänger des anti-trotzkistischen Tony Cliff (marx21), bis zu denen des pseudo-trotzkistischen Ernest Mandel (ehemals RSB und ISL, nun vereint als ISO auf Grundlage einer Nachtrabpolitik gegenüber der Linkspartei, mit Vorliebe innerhalb ihrer Mitgliedschaft). So ziemlich das gleiche hört man von den sozialdemokratisierten Ex-Stalinisten: Die junge Welt veröffentlichte in ihrem G20-Blog einen Kommentar („Trittbrettfahrer der Revolte“, 8. Juli), der behauptete, dass die „Gewaltorgie von Autonomen“ und das Marodieren des modernen Lumpenproletariats darauf abzielten, der organisierten Linken zu schaden. Die Behörden werden dafür kritisiert, dass „Krawalltouristen ungehindert anreisen“ konnten, während Polizisten, „Arbeitende im Bereich der öffentlichen Sicherheit“, „für eine Machtdemonstration missbraucht“ worden seien.

Diese blass-roten Reformisten wiederholen die gleichen trügerischen Illusionen, gegen die Leo Trotzki schon polemisierte, als die Sozialdemokraten die preußische Polizei als Bollwerk gegen den Faschismus betrachteten – mit tragischen Folgen. Trotzki insistierte: „Die Arbeiter, die Polizisten im Dienst des kapitalistischen Staates geworden sind, sind bürgerliche Polizisten und nicht Arbeiter“ (Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats, 1932). Tatsächliche Leninisten und Trotzkisten sind Lichtjahre entfernt von den linken Biedermännern, die in ihrem Streben nach bürgerlicher Respektabilität bei der Hexenjagd gegen „gewaltbereite“ Linke mitmachen. Die blinde Wut der anarchoiden Autonomen mag kein Programm für eine Revolution sein – aber die Befehlshaber der kapitalistischen Staatsgewalt und ihre Büttel stehen auf der anderen Seite der Klassenlinie.

Die Zusammenstöße während des G20-Gipfels waren die unvermeidliche Folge der Pläne von Landes- und Bundesbehörden, die Stadt in den Belagerungszustand zu versetzen. Sie wurden unmittelbar von Maßnahmen der Polizei provoziert, die schon Tage vor dem Gipfel begannen, und systematisch abzielten auf kleine und große Gruppen von Demonstranten, und sogar Anwohner. Für das nächste Mal plant die Polizei, die Zivilbevölkerung hermetisch von „gewaltbereiten“ Demonstranten abzuschirmen. Angesichts solcher Bürgerkriegsvorbereitungen gibt es nur eine Kraft, die sich gegen die versammelten Kräfte kapitalistischer Staatsrepression durchsetzen kann: die organisierte Macht der Arbeiterklasse. Klassenbewusste Arbeiter hätten schon im Voraus mobilisieren sollen um ihre Macht gegen die drohende Gefahr des Polizeistaats-Gipfels einzusetzen.

Der Hamburger Gipfel brachte Zehntausende von Demonstranten auf die Straße – schwarze Blöcke und rote Blöcke, Kurden und Türken, Liberale und Linke, Gewerkschafter und Umweltschützer –, in einem der größten Ausbrüche von Massenunruhen der letzten Jahre. Volksfront-Demonstrationen (die eigentlich die Imperialisten nur anbetteln, sich besser zu verhalten) und wahllose Wutausbrüche sind gleichermaßen Ausdrücke von Machtlosigkeit gegenüber den Provokationen der arrogante herrschenden Klasse. So wird es bleiben, solange es keine effektive Mobilisierung der Macht der Ausgebeuteten und Unterdrückten gegen ihre Ausbeuter und Unterdrücker gibt. CDU- und SPD-Politiker können friedliche Demonstranten ignorieren und Randalierer mit übermächtigen bewaffneten Kräften in Schach halten. Aber wenn Arbeiter den Hamburger Hafen dicht machen und auf die Straße gehen, sähe es gleich ganz anders aus.

Kann das passieren, angesichts der gründlich bürokratisierten Gewerkschaftsbewegung, die die Macht der Arbeiter dem Diktat des Kapitals unterordnen will? Das hängt vor allem ab vom Kampf für den Aufbau einer proletarischen Avantgarde, einer leninistisch-trotzkistischen Partei, die danach strebt, die Bürokraten rauszuschmeißen und die Ketten der Klassenkollaboration zu zerbrechen. Dazu gehört ein klassenkämpferisches Programm für Arbeiterrevolution und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Dies ist entscheidend für die Verteidigung von Immigranten und Flüchtlingen, und für das Zerschlagen der wachsenden rechtsradikalen und faschistischen Bedrohung. Den Kern dieser Avantgarde zu schmieden ist die Aufgabe, die sich die Liga für die Vierte Internationale gestellt hat. Wie jeder klassenbewusste Arbeiter in Griechenland oder Spanien nur zu gut weiß, ist Revolution im Herzen des deutschen Imperialismus der Schlüssel für das Schicksal des gesamten Kontinents. ■


  1. 1. Tatsächlich wurde berichtet, dass Demons­tranten an der Spitze der Demo ihre Vermummung entfernt hatten, als die Demo von hinten durch einen Polizeiverband aus Berlin angegriffen wurde (Die Tageszeitung [taz], 13. Juli).
  2. 2. Einsatzleiter Dudde behauptete später absurderweise, dass die Kommandeure der schwerbewaffneten Festnahmeeinheit um das Leben ihrer Beamten fürchteten, und deshalb auf Anti-­Terror-Einheiten warten mussten (Hamburger Morgenpost, 10. Juli).