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  August 2021

Alle US-Truppen, Militärs/Sicherheitskräfte,
Dienste und Söldner raus aus dem Nahen Osten, sofort!


Kabul, 15. August: Ein Chinook-Hubschrauber evakuiert Personal der US-Botschaft in der afghanischen Hauptstadt, während die Taliban Stadt und Land erobern.  (Foto: Rahmat Gul / AP)

Marionettenregierung bricht zusammen, US-Personal flieht, die Taliban übernehmen die Macht

26. AUGUST 2021 – Am 15. August fand die zwei Jahrzehnte währende Besetzung Afghanistans durch westliche Imperialisten unter Führung der Vereinigten Staaten ein unrühmliches und vorhersehbares Ende. Angesichts des raschen Vormarsches der reaktionären islamisch-fundamentalistischen Taliban brach die zutiefst korrupte Marionettenregierung zusammen und ihr Präsident Ashraf Ghani floh aus dem Land. Polizisten zogen ihre Uniformen aus. Tausende von Kollaborateuren – aber auch viele Angehörige der Mittelschicht – strömten panisch zum Flughafen, um zu fliehen. Vom Gelände der US-Botschaft hoben Hubschrauber ab und brachten Mitarbeiter zu einem Sammelplatz in der Nähe des Flughafens. Am nächsten Tag kletterten Menschenmassen auf Passagierflugzeuge und klammerten sich an Militärflugzeuge, als diese auf die Startbahn rollten, und stürzten nach deren Start in den Tod. Das Chaos bildete ein schmachvolles Ende des gescheiterten imperialistischen Terrorkrieges.

Die Invasion und Besetzung Afghanistans durch die USA wurde als Krieg gegen den Terrorismus und als Vergeltung für die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und das Pentagon dargestellt. In Wirklichkeit waren diese Invasion und die anschließende Invasion und Besetzung des Irak im Jahr 2003 Teil eines Krieges für die globale Vorherrschaft des US-Imperialismus. Sie waren ein Versuch, die von George Bush I. zur Zeit der Konterrevolution von 1991/92, die die Sowjetunion zerstörte, ausgerufene „Neue Weltordnung“ zu etablieren. Noch bevor die ersten US-Bomben fielen, als George Bush II in Afghanistan einmarschierte, riefen wir inmitten der von den Medien geschürten hyperpatriotischen Raserei sofort dazu auf, den US-Imperialismus zu besiegen und Afghanistan und den Irak zu verteidigen. In einem Artikel, der drei Tage nach den Anschlägen vom 11. September veröffentlicht wurde, erklärten wir:

Die Internationalistische Gruppe, Sektion der Liga für die Vierte Internationale, ruft die Arbeiterklasse in der ganzen Welt auf zu kämpfen, um den imperialistischen Drang nach Krieg und Unterdrückung zu besiegen. Während sich die USA auf die Invasion Afghanistans vorbereiten, verteidigen Revolutionäre dieses Land, den Irak und alle anderen Länder, die von den Möchtegern-Globalbullen der Neuen Weltordnung unter der Führung von Bush & Co. angegriffen werden, die bei weitem die größten Massenmörder von allen sind....
Die afghanische Hölle wurde in den USA erschaffen. Wir fordern: USA raus.“ [Hervorhebung im Original]
–„U.S. Whips Up Imperialist War Frenzy, Drives Toward Police State“ (14. September 2001), nachgedruckt in The Internationalist Nr. 12, Herbst 2001.

Männer tragen den Sarg von einem von 30 Bauern, die im September 2019 durch einen US-Drohnenangriff im Distrikt Khogyani, Provinz Nangarhar, Afghanistan, getötet wurden. Weitere 40 wurden verwundet. Sie ruhten sich nach der Arbeit am Lagerfeuer aus. (Foto: Parwiz / Reuters)

Die imperialistischen Besatzer haben ein Gemetzel entfesselt, das zwischen 2001 und 2021 in Afghanistan und jenseits der Grenze in Pakistan eine Viertelmillion Menschenleben gefordert hat. Darunter sind schätzungsweise 47.000 Zivilisten in Afghanistan und 24.000 in Pakistan, sowie 66.000 Mitglieder der afghanischen Armee und Polizei und 51.000 „Oppositionskämpfer“. Darüber hinaus starben 3.600 US-amerikanische und verbündete Soldaten sowie über 3.800 Auftragskräfte (Söldner). Waren in Vietnam die Hauptmethoden des US-Massenmords das Eindecken von Dörfern mit Napalm und die B-52-Teppichbombenangriffe, so waren es in Afghanistan die „punktgenauen“ Drohnenangriffe, die regelmäßig Hochzeitsgesellschaften, Beerdigungen, Bauern auf den Feldern, Buspassagiere, Ladenbesitzer und Kinder auf Basaren trafen. Und von 2009 bis 2017 wurden alle Angriffe von Barack Obama persönlich genehmigt.

Im Laufe der Jahre änderten sich die vorgeblichen Ziele der US-Machthaber bei der Besetzung Afghanistans immer wieder. Anfangs ging es angeblich nur um Osama bin Laden, den saudiarabischen Gründer von Al-Qaida, der zum Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 erklärt wurde. Bin Laden wurde im Mai 2011 von einem Killerkommando ermordet, das der demokratische Präsident Barack Obama entsandt hatte. Daraufhin verlagerte sich der Schwerpunkt auf einen „humanitären“ Imperialismus, ein demokratisches „Nation-Building“ mit Schwerpunkt auf der „Ermächtigung der Frauen“. Als der „Islamische Staat im Irak und in Syrien“ 2014 ein Kalifat ausrief, dehnten die USA den imperialistischen Terrorkrieg auf Syrien aus und verstärkten die Bombardierungen gegen die Taliban in Afghanistan. Da die afghanische Marionettenarmee jedoch nicht in der Lage war, die Islamisten zu besiegen, nahmen die USA, zunächst unter Obama und dann unter Trump, Gespräche mit den Taliban auf, um eine Verhandlungslösung zu finden.


Taliban-Kämpfer dringen am 15. August auf einem von Regierungstruppen erbeuteten Humvee in Kabul ein. Der Zusammenbruch der Marionettenarmee vor der Taliban-Offensive überraschte die USA.  
(Foto: Jim Huylebroek für die New York Times)

Der eigentliche Grund für die Besetzung Afghanistans war das Streben des US-Imperialismus nach globaler militärischer Vorherrschaft, um seine schwindende Wirtschaftskraft zu kompensieren. Der Nahe Osten war und ist ein wesentlicher Bestandteil dieser geopolitischen Strategie. Auch wenn das Weiße Haus und das Pentagon unter Obama, Trump und Biden versucht haben, sich nach Asien zu orientieren, d. h. China ins Visier zu nehmen, hat sich die strategische Bedeutung des Nahen Ostens nicht geändert. Derzeit sind 45.000 US-Soldaten auf Stützpunkten und Flugzeugträgern im Nahen Osten stationiert. Darüber hinaus haben die USA eine große Zahl von Söldnern in Afghanistan eingesetzt, etwa 22.500 im letzten Jahr (im Vergleich zu 4.000 US-Soldaten), von denen zwei Drittel keine US-Bürger sind. In den neun Jahren von 2011 bis 2019 wurden fast 97 Milliarden Dollar an „Auftragnehmer“ in Afghanistan gezahlt, sogar mehr als an die afghanische Nationalarmee. Wir fordern: alle US-Truppen, Militärs/Sicherheitskräfte, Dienste (CIA, DEA, USAID, etc.) und Söldner raus aus dem Nahen Osten, sofort!

Die Flucht der afghanischen Marionettenregierung und der Abzug der US- und NATO-Truppen ist eine große Niederlage für die imperialistischen Machthaber, die sich für die Herren der Welt halten. Dies soll von den Gegnern des Imperialismus überall begrüßt werden.Die Tatsache, dass diese Niederlage spektakulär chaotisch verlaufen ist, ist nur gut so. Republikanische Sprecher im US-Kongress haben beklagt, dass dies China ermutigen wird, den bürokratisch deformierten Arbeiterstaat, der das Hauptziel der imperialistischen Kriegstreiberei der beiden Parteien (der Demokraten und Republikaner) ist. Noch besser. Das gepflegte Image der imperialistischen Unbesiegbarkeit hat einen gewaltigen Schlag erlitten.

Taliban an der Macht: Reaktionäre Bedrohung für die Unterdrückten


Evakuierte werden aus den US-Botschaften in Saigon (1975) und Kabul (2021) geflogen. Beides waren Niederlagen für den Imperialismus, aber der Sturz des Kapitalismus in Vietnam war ein Sieg für die Unterdrückten, die Übernahme durch die Taliban bedeutet mehr Repression.  (Fotos: Getty Images; AP)

Der Sieg der reaktionären islamistischen Taliban ist jedoch kein Sieg für die Unterdrückten. Bilder von Hubschraubern, die beim Fall von Saigon 1975 und dem Fall von Kabul 2021 vom Gelände der US-Botschaften abhoben, ließen eine oberflächliche Parallele zwischen diesen beiden Niederlagen des Imperialismus entstehen. In Bezug auf Vietnam jedoch begrüßten revolutionäre Trotzkisten den Sieg der Demokratischen Republik Vietnam und der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams. Wie wir damals schrieben:

„Er bedeutet den Sturz der kapitalistischen Herrschaft in Südvietnam, eine historische Errungenschaft für die Werktätigen der ganzen Welt, die von klassenbewussten Arbeitern bedingungslos gegen imperialistische Angriffe verteidigt werden muss.“1

Der Aufruf der Trotzkisten lautete: Ganz Indochina muss kommunistisch werden! Gleichzeitig warnten wir, dass, „obwohl eine siegreiche soziale Revolution stattgefunden hat, ist der Kampf zur Errichtung revolutionärer und internationalistischer Arbeiterstaaten in der Region noch lange nicht vorbei“, da die neuen stalinistischen Machthaber „der verräterischen Politik der ‚friedlichen Koexistenz‘ mit dem Imperialismus verpflichtet sind“.

In Afghanistan hingegen sehen sich die Werktätigen und die unterdrückten Bevölkerungsgruppen nun einem neuen reaktionären Regime gegenüber, unter dem selbst die grundlegendsten demokratischen Rechte verweigert werden. Die Taliban sind ein von den USA geschaffenes Frankenstein-Monster. Sie sind aus den Mudschahedin hervorgegangen, die von der CIA finanziert und bewaffnet wurden, um die von der Sowjetunion unterstützte Regierung zu bekämpfen, die in den 80er Jahren die Rechte der Frauen vorangebracht hat. Und als die Taliban 1996 die Macht übernahmen, geschah dies mit der stillschweigenden Billigung Washingtons. Im Islamischen Emirat Afghanistan erklärten Sprecher der Taliban vor der US-Invasion 2001, dass Demokratie und politische Parteien im Widerspruch zum islamischen Recht (Scharia) stünden. Kommunisten wurden hingerichtet, Beamte aus dem tadschikischen Norden wurden durch Paschtunen (die Stammes-/ethnische Basis der Taliban) aus dem Süden ersetzt, während die schiitischen muslimischen Hazaras in Zentral- und Westafghanistan massakriert wurden. Frauen und Mädchen wurde der Besuch von Schulen und Universitäten untersagt und sie durften nicht mehr arbeiten. Sie waren weitgehend auf das Haus beschränkt und unterlagen der Purdah (weibliche Isolation), es sei denn, sie wurden von einem männlichen Verwandten begleitet und in eine Burka gehüllt, den erstickenden Ganzkörperschleier.


Taliban-Beamter setzt Peitschen gegen Frauen in Burkas ein, 2001. (Foto: AP)

In den letzten Monaten haben medienwirksame Vertreter das Bild eines „Taliban 2.0“ entworfen. Am Tag nach der Einnahme von Kabul wurde ein Vertreter der Taliban von einer weiblichen Nachrichtensprecherin im Fernsehen interviewt. Der oberste Taliban-Sprecher Zabihullah Mudschahid erklärte auf einer Pressekonferenz, dass es „keine Gewalt gegen Frauen“ geben werde und dass es Frauen erlaubt sei, „im Rahmen des islamischen Rechts“ zu arbeiten. Aber dasselbe haben sie auch schon beim letzten Mal gesagt. Die Bekenntnisse zur „Mäßigung“ werden durch den Bombenanschlag vom 8. Mai auf eine Hochschule in Kabul Lügen gestraft, bei dem 90 Menschen getötet wurden, viele von ihnen Mädchen im Teenageralter, die gerade den Unterricht verließen, in einem Gebiet mit einer großen Bevölkerung von Hazara.

Die Frage der Unterdrückung der Frauen wird im Vordergrund der Ereignisse in Afghanistan stehen, wenn die Taliban ihre Herrschaft festigen. Doch wenngleich die US-Besatzung das Wachstum einer Schicht berufstätiger Frauen aus der Mittelschicht gefördert hat, die das feministische Ziel der „Vielfalt“ propagieren, war dies weit davon entfernt, auch nur den Anschein von Gleichheit zu erreichen. Sowohl unter der imperialistischen Marionettenregierung der Islamischen Republik Afghanistan als auch unter dem Islamischen Emirat der Taliban sind Frauen mit einer zutiefst patriarchalischen Gesellschaft konfrontiert, in der ihnen die grundlegendsten Rechte verweigert werden.2 Auch wenn das Ausmaß variieren mag, trifft dies auf jedes islamistische Regime zu, in dem die Scharia herrscht.3 Auch in bürgerlich-demokratischen Ländern ist die Unterdrückung der Frauen ein fester Bestandteil des Kapitalismus. Umso mehr ist in Gesellschaften, in denen Gleichberechtigung schlichtweg verweigert wird, eine sozialistische Revolution erforderlich, um Frauen zu befreien.

Imperialisten sponserten frauenfeindliche Mudschahedin

In den westlichen Medien wird die 20-jährige Invasion und Besetzung Afghanistans immer wieder als „Amerikas längster Krieg“ bezeichnet. Doch das afghanische Volk ist seit mehr als 40 Jahren mit einem ununterbrochenen Krieg konfrontiert, der vom US-Imperialismus angezettelt wurde. Die Kriege begannen mit dem Start der „Operation Zyklon“ im Jahr 1979, der verdeckten Kampagne der CIA, die islamistische Mudschahedin (wörtlich, Kämpfer des Islam) finanzierte, bewaffnete, ausbildete und beriet, um die linksgerichtete Regierung der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (PDPA) zu bekämpfen. Obwohl sie keineswegs „kommunistisch“ waren, wie sie in der westlichen Presse bezeichnet wurden, waren die kleinbürgerlichen Modernisierer der PDPA mit der Sowjetunion verbündet. Ihr Programm einer bescheidenen Landreform und eines säkularen Bildungswesens verärgerte die Khans (Stammesführer), Mullahs und Zamindari (Landbesitzer), insbesondere in den paschtunischen Gebieten des Südens.

Kurz nachdem die von der PDPA geführte Demokratische Republik Afghanistan mit diesen Reformen begonnen hatte, erließ US-Präsident Jimmy Carter Mitte 1979 eine verdeckte Verfügung zur Finanzierung der reaktionären religiösen Banden. Nach einer kurzen Phase der „Entspannung“ nach der Niederlage der USA in Vietnam war dies der Beginn des Zweiten Kalten Krieges. Carters nationaler Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski sagte später, dies habe „wissentlich die Wahrscheinlichkeit erhöht“, dass die sowjetische Führung gezwungen sein würde, einzugreifen, um die gefährdete afghanische Regierung zu stützen. Während des darauf folgenden Krieges, der von 1980 bis zum Abzug der sowjetischen Streitkräfte im Jahr 1989 dauerte, erschossen von den USA unterstützte islamische Fundamentalisten wiederholt „kommunistische Lehrer“ auf dem Lande wegen des „Verbrechens“, junge Mädchen zu unterrichten. Es war die größte, längste und teuerste (6 Milliarden Dollar) verdeckte Operation der CIA in der Geschichte, bei der sie (über den pakistanischen Geheimdienst) mit Osama bin Laden zusammenarbeitete, um Lager für die antikommunistischen Mudschahedin zu errichten.


Sowjetische Ausbilderin mit afghanischen Studenten im Polytechnischen Institut in Kabul, 1981. (Foto: AFP)

Unter der PDPA wurden die Rechte der Frauen erheblich erweitert. Es wurde eine Obergrenze für den Brautpreis eingeführt,4 Zwangsheirat und die Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren wurden verboten. Angesichts einer Analphabetenrate von 99 % bei den Frauen wurde eine Massenalphabetisierungskampagne gestartet und die Schulbildung für Jungen und Mädchen zur Pflicht erklärt. In der Verfassung der Demokratischen Republik Afghanistan von 1987 heißt es: „Männer und Frauen haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten“. Unverschleierte Frauen arbeiteten in Fabriken, besuchten Universitäten und technische Institute, wurden Lehrerinnen und leiteten Milizen der Revolutionären Verteidigungsgruppe. Nach Angaben des Afghanischen Frauenrats gab es 1989 über 7.000 Frauen in der Hochschulbildung, 233.000 Mädchen in der Schule und 22.000 Lehrerinnen.5 Als das PDPA-Regime 1992 von den von den USA unterstützten islamischen Fundamentalisten gestürzt wurde, wurde dies alles zunichte gemacht. Natürlich gab es weder in den westlichen Medien noch von den opportunistischen Linken einen Pieps des Protests darüber.

„Offene Grenzen.“ Asyl für „alle“? Jeder Erwachsene auf diesem Flug war ein Kollaborateur der US-Besatzung Afghanistans. Kein Asyl für Agenten des imperialistischen Krieges/der imperialistischen Besatzung!  (Screenshot von Facebook)

Jetzt, wo Zehntausende von Afghanen versuchen, der Taliban-Herrschaft zu entkommen, steht die Frage der afghanischen Flüchtlinge im Vordergrund. Flüchtlingsorganisationen schätzen, dass „mindestens 300.000 Afghanen in unmittelbarer Gefahr sind, von den Taliban ins Visier genommen zu werden, weil sie mit Amerikanern und den US-Bemühungen zur Stabilisierung Afghanistans in Verbindung stehen“ (New York Times, 25. August). Das Internet-Medienportal Left Voice rief in einem Facebook-Posting (18. August) dazu auf, „die Grenzen zu öffnen und jedem, der Zuflucht sucht, einen würdigen Empfang zu bereiten“. Jedem? Das Foto mit dem Posting ist eine inzwischen berühmte Aufnahme des Inneren eines C-17 Globemaster-Frachtflugzeugs mit etwa „640 Afghanen“ an Bord, plus Kinder. Aber alle diese „afghanischen Zivilisten“ wurden von den USA vorab genehmigt, was bedeutet, dass sie Kollaborateure waren, die mit den US-Besatzern zusammenarbeiteten. Und wie man auf dem Foto sehen kann, sind es überwiegend Männer.

Sicherlich gibt es Zehntausende von Afghanen, die in irgendeiner Weise mit der Marionettenregierung, den USA oder anderen internationalen Organisationen in Verbindung standen. So gut wie jede Frau, die mit einer Nichtregierungsorganisation (NGO) zusammenarbeitete, stand zumindest indirekt auf der Lohnliste der USA, ob sie sich dessen bewusst war oder nicht. Die meisten waren eindeutig keine Unterdrücker der afghanischen Völker. Auf der anderen Seite gibt es Tausende von „Übersetzern“. Für wen haben sie übersetzt? Für die Suchtrupps, die nachts in afghanische Häuser eindrangen und die verängstigten Bewohner über den Verbleib mutmaßlicher Taliban verhörten, die, wenn sie gefasst würden, ermordet würden? Was ist mit den Übersetzern im berüchtigten Bagram-Gefängnis, wo Insassen gefoltert wurden? Oder die über 20.000 Söldner, die für das Pentagon in Afghanistan arbeiten? Sie sind imperialistische Kollaborateure mit Blut an ihren Händen.

Die Parole der „offenen Grenzen“ ist utopischer liberaler Unsinn: Grenzen wird es auch nach einer sozialistischen Revolution unter einem Arbeiterstaat geben. Die Klassenfrage ist entscheidend. Nach dem Sturz des südvietnamesischen Regimes 1975, als Washington 125.000 seiner Lakaien in die USA brachte, riefen wir keineswegs dazu auf, alle Flüchtlinge hereinzulassen, sondern erklärten: „Kein Asyl für indochinesische Reaktionäre!“ Stattdessen forderten wir Asyl für chilenische Flüchtlinge der blutigen Pinochet-Diktatur.6 Revolutionäre Marxisten schlagen keine allgemeine Einwanderungspolitik für imperialistische Länder vor, die immer rassistisch und ausgrenzend sein wird. In besonderen Krisen haben wir dazu aufgerufen, denjenigen Zuflucht zu gewähren, die vor den Verwüstungen des Imperialismus fliehen, wie im Fall der syrischen, haitianischen und mittelamerikanischen Flüchtlinge. Hier, wo ein Unterdrückerregime durch ein anderes ersetzt wird, rufen Marxisten nicht zur Zuflucht für die Vertreter der imperialistischen Besatzung auf, die wir zu besiegen aufgerufen haben.

Afghanistan und der Kampf für die internationale sozialistische Revolution


CIA-Karte der ethnischen Gruppen in Afghanistan, 2005. Zum Vergrößern auf das Foto klicken.
(Foto: Central Intelligence Agency)

Afghanistan ist fast seit seiner Gründung im Jahr 1700 von Konflikten zerrissen. Dies liegt zum Teil daran, dass es an der Grenze zwischen Zentral- und Südasien liegt und von den dominierenden Mächten in jeder Region umkämpft wurde. Zum anderen ist es ein künstlicher Staat: Es gibt keine historisch gefestigte afghanische Nation, ja nicht einmal ein einheitliches afghanisches Volk. Die paschtunische Mehrheit im Süden (etwa 50 % der Gesamtbevölkerung) betrachtet sich seit jeher als die rechtmäßigen Herrscher des Landes, eine Ansicht, die von den zentralasiatischen Völkern der Tadschiken und Usbeken im Norden und den schiitischen Hazaras im Zentrum und Westen nicht geteilt wird. Die Paschtunen (früher Pathans genannt) sind mit 63 Millionen Menschen, von denen drei Viertel in Pakistan leben, das größte stammesmäßig organisierte Volk der Welt. Die Taliban sind fast ausschließlich Paschtunen, und ihre anhaltende Macht spiegelt diese regionale Basis wider.

Wie es in Afghanistan weitergehen wird, ist derzeit nicht absehbar. Ahmed Rashid, Autor von Taliban: Militant Islam, Oil and Fundamentalism in Central Asia (2001), hat angemerkt, dass der offensichtliche Widerspruch zwischen dem Gerede der historischen Taliban-Führer von Mäßigung und Integration und den Handlungen der Kämpfer eine interne soziale Spaltung widerspiegelt. Die Älteren haben in Pakistan gelebt, sind gebildeter geworden, haben dort Familien und Geschäfte, während die jüngeren Befehlshaber im Feld als „viel verbissener islamisch und radikal“ beschrieben werden. Viele dieser Kommandeure waren in Guantanamo oder haben Jahre in amerikanischen Gefängnissen verbracht“.7 Anders als Ende der 1990er Jahre, als es kaum eine Taliban-Regierung gab, werden sie jetzt jedoch über ein Land mit einer stark gewachsenen städtischen Bevölkerung mit Bildung und modernen Kommunikationsmitteln herrschen.

Nachdem der US-Imperialismus den Krieg verloren hat, wird er mit ziemlicher Sicherheit versuchen, sich mit den neuen afghanischen Machthabern zu arrangieren, und sei es nur, um den Einfluss Russlands und Chinas zu begrenzen. Die Generäle, die Pakistan regieren, werden weiterhin die Taliban unterstützen, um aus ihrem Einfluss auf ihre Klientel Kapital zu schlagen und um jeden Impuls zur Bildung eines „Paschtunistan“ abzuwehren, der ihr Land spalten könnte. Es könnte zu lokalen Rebellionen kommen, aber es wird schwer sein, mächtige Sponsoren oder sichere Nachschubwege zu finden. Proteste könnten in städtischen Gebieten ausbrechen, wie es bereits sporadisch in Kabul und Dschalalabad geschehen ist. Aber Afghanistan ist immer noch ein überwiegend ländliches Land, in dem drei Viertel oder mehr der Bevölkerung in bitterer Armut leben. Mit dem Wegfall der Milliarden von Dollar, die die USA jährlich nach Afghanistan gepumpt haben, ist eine schwere Wirtschaftskrise praktisch unvermeidlich.

Wie wir zum Zeitpunkt der US-Invasion im Jahr 2001 schrieben:

„Afghanistan ist ein verarmtes Hinterland, in dem in weiten Teilen des Landes feudale oder sogar vorfeudale Verhältnisse herrschen.... Aufgrund seiner extremen wirtschaftlichen Rückständigkeit sind die sozialen Kräfte in Afghanistan zu schwach, um eine Arbeiterrevolution von innen heraus zu führen. Das ist ein Hauptgrund, warum die sowjetische Intervention in den 1980er Jahren notwendig war, um den Sieg der islamischen Reaktion zu verhindern, und warum Trotzkisten sie nachdrücklich unterstützten. Aber Afghanistan kann nicht isoliert von der umliegenden Region betrachtet werden.“
–„Besiegt den US-Imperialismus! Verteidigt Afghanistan und den Irak!“ The Internationalist Nr. 12, Herbst 2001.

An dieser Gesamtsituation hat sich seither wenig geändert. Die Zukunft der Frauenrechte und der demokratischen Rechte allgemein in Afghanistan wird in hohem Maße davon abhängen, was anderswo in der Region geschieht. Die imperialistische Teilung des Subkontinents nach dem Zweiten Weltkrieg brachte vier verfeindete bürgerliche Staaten hervor, die alle von rechtsgerichteten, militärischen und religiös-kommunalistischen Parteien beherrscht werden. In Pakistan kann die populistische Regierung kaum verbergen, dass sie von der Armee und dem Geheimdienst Inter-Services Intelligence Agency beherrscht wird, die eng mit islamistischen Gruppen und den wahabitischen islamischen Madrasas (von Saudi-Arabien gesponserte religiöse Schulen) verbündet sind, die den Nährboden für die Taliban (deren Name „Studenten“ bedeutet) bildeten, und die seit der Unabhängigkeit 1947 die eigentliche Macht im Staat darstellen.

Indien, Bangladesch und Sri Lanka haben alle eine beträchtliche Arbeiterklasse und eine Geschichte der linken politischen Agitation. Doch die organisierte Arbeiterbewegung ist in der Defensive, und jedes dieser Länder ist von kommunalen Konflikten zerrissen (Singhalesen gegen Tamilen in Sri Lanka, Hindus gegen Muslime in Indien) und/oder mit ethnischen Gruppen, die durch künstliche Grenzen getrennt sind (Bengalen, die zwischen Indien und Bangladesch geteilt sind, Kaschmir, das zwischen Indien und Pakistan aufgeteilt ist). In Indien, Pakistans Erzfeind, hat die hinduchauvinistische Bharatiya Janata Party von Premierminister Nahendra Modi, die mit der faschistischen RSS verbündet ist, antimuslimische Provokationen und regelrechte Pogrome zunehmend eskalieren lassen. Trotzkisten haben seit der Teilung 1947 eine freiwillige sozialistische Föderation von Arbeiterrepubliken in Südasien gefordert.

Weltweit markiert der spektakuläre Zusammenbruch der imperialistischen Besatzung Afghanistans das Ende der unipolaren „neuen Weltordnung“ unter der Hegemonie der USA. Der vom ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney ausgerufene „Krieg ohne Ende“ ist gerade mit einer spektakulären Niederlage für die USA zu Ende gegangen. Entgegen der Behauptung von Präsident Biden, „Amerika ist zurück“, hat Washington nicht mehr die Mittel, um allein als Weltgendarm zu agieren. Aber die USA bleiben die führende imperialistische Macht mit dem stärksten Militär in der Geschichte. Von diesem Schlag geschwächt, könnten sie nun versuchen, ihre Muskeln zu zeigen, vielleicht durch eine neue Provokation gegen China. Während der Großteil der Linken sich dem China-Bashing angeschlossen hat, ruft die Liga für die Vierte Internationale zur Verteidigung Chinas und der anderen deformierten Arbeiterstaaten – Kuba, Nordkorea und Vietnam – gegen Imperialismus und Konterrevolution auf.

Der „Globale Krieg gegen den Terror“ der US-Herrscher hat von Afghanistan über den Irak und Syrien bis hin zur „Heimatfront“ einen hohen Tribut gefordert. Er ist eine Fortsetzung des imperialistischen Gemetzels des Koreakrieges (2 Millionen Tote) und des Vietnamkrieges (3 Millionen Tote), zusätzlich zu dem Gemetzel des imperialistischen Ersten Weltkrieges (über 21 Millionen Tote) und des Zweiten Weltkrieges (mehr als 73 Millionen). Heute werfen die Verwüstungen der COVID-19-Pandemie und das Chaos, das sie in der gesamten kapitalistischen Welt angerichtet hat, ein grelles Licht auf die Unfähigkeit dieses verfaulenden imperialistischen Systems, Leben zu erhalten und die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen.

Wie die deutsch-polnische kommunistische Revolutionärin Rosa Luxemburg über das Gemetzel des Ersten Weltkriegs schrieb, lautet die Alternative in dieser imperialistischen Epoche: Sozialismus oder Barbarei. Von den Killing Fields der „ewigen Kriege“ der USA im Nahen Osten und in Zentralasien bis zu den mit Leichen gefüllten Container vor den US-Krankenhäusern und den Massengräbern in Brasilien können wir das hässliche Gesicht der Barbarei vor unseren Augen sehen. Die Antwort muss darin bestehen, revolutionäre Arbeiterparteien aufzubauen, die dafür kämpfen, eine wahrhaft trotzkistische Vierte Internationale wieder zu schmieden. Afghanistan, an der Schnittstelle Asiens gelegen, war in den letzten 40 Jahren ein entscheidender Prüfstein für den revolutionären Marxismus im Gegensatz zur sozialdemokratischen, pro-imperialistischen Politik. An jedem Scheideweg haben wir dafür gekämpft, das bolschewistische Programm von Lenin und Trotzki aufrechtzuerhalten und eine Weltpartei der sozialistischen Revolution aufzubauen, die die Hoffnung der Menschheit ist. ■


  1. 1. Workers Vanguard (9. Mai 1975), Zeitung der Spartacist League, damals die Stimme des authentischen Trotzkismus, der heute von der League for the Fourth International (LFI) vertreten wird.
  2. 2. Im Jahr 2012 billigte der afghanische Marionettenpräsident Hamid Karzai einen „Verhaltenskodex“ des Ulema-Rates, des obersten klerikalen Gremiums in Afghanistan, der die Gleichstellung von Frauen und Männern ausdrücklich ablehnte und Frauen für „zweitrangig“ erklärte, während er gleichzeitig verfügte, dass muslimische Frauen Burkas tragen mussten, das Haus nicht ohne männliche Begleitung verlassen durften und sich in Schulen, auf Märkten oder in Büros nicht mit Männern treffen durften. Siehe: „Hamid Karzai backs clerics’ move to limit Afghan women’s rights (Hamid Karzai unterstützt den Vorstoß der Geistlichen, die Rechte der afghanischen Frauen einzuschränken)“, Guardian, 6. März 2012.
  3. 3. Entgegen Behauptungen von muslimhassenden Fanatikern wie Donald Trump ist die islamische Religion nicht unvereinbar mit bürgerlich-demokratischen Rechten für die Gesellschaft als Ganzes. Hingegen ist der Islamismus oder politische Islam eine Doktrin, die besagt, dass das islamische Recht (Scharia) die Gesellschaft regieren soll. Daher gibt es für Islamisten keine Trennung von Moschee und Staat. Es gibt zwar verschiedene islamistische Strömungen und deutliche Unterschiede zwischen Islamisten der sunnitischen und der schiitischen Richtung des Islam, aber alle fordern ein theokratisches Regime, in dem religiöse Lehren und Autorität an erster Stelle stehen, und sind daher von Natur aus antidemokratisch.
  4. 4. Die islamische Mahr, d.h. der Betrag, den der Bräutigam bei der Heirat an die Braut zahlt.
  5. 5. Valentine Moghadam, „Fundamentalism and the Woman Question in Afghanistan", in Lawrence Kaplan, Hrsg., Fundamentalism in Comparative Perspective (University of Massachusetts Press, 1992).
  6. 6. Workers Vanguard, 9. Mai 1975.
  7. 7. National Public Radio, 15. August 2021.