Oktober 2020
Schließt die
Lager – Volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten!
Nieder mit der rassistischen Festung Europa!
Griechenland: Das Feuer von Moria entfacht mehr rassistische Repression
Migranten flüchten aus dem Konzentrationslager Moria, nachdem Feuer es zu Asche machten.
28. OKTOBER 2020 – Als das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos am 8. September in Flammen aufging und vollständig niederbrannte, wurde die „vergessene“ Krise Europas erneut sichtbar. Inmitten einer globalen Pandemie, die über eine Million Menschenleben gefordert hat, riegelten die griechischen Behörden das Freiluftgefängnis mit seinen fast 13.000 Migrantenflüchtlingen ab, als 35 Lagerbewohner positiv auf COVID-19 getestet worden waren. Nach Protesten gegen die Abriegelung und zum Äußersten getrieben, nachdem sie viele Monate und sogar Jahre in dem notorisch verwahrlosten Lager, dem größten Europas, verbracht hatten, setzten einige Lagerbewohner es in Brand. Der verzweifelte Akt der Rebellion wurde durch die jahrelange Demütigung und Entmenschlichung geschürt, die im Rahmen der rassistischen Einwanderungspolitik der von Deutschland dominierten Europäischen Union (EU) und ihrer griechischen Grenzschützer stattfand, die zeitweise bis zu 20.000 Flüchtlinge in eine Einrichtung stopften, die nur für 3.000 vorgesehen war.
Griechenlands rechtsgerichtete Regierung der Neuen Demokratie (ND) unter Kyriakos Mitsotakis, einem ehemaligen Bankier mit Harvard- und Stanford-Ausbildung und Mitglied einer der ältesten politischen Dynastien Griechenlands, weigerte sich, die vertriebenen Flüchtlinge von der Insel zu lassen, mit Ausnahme einer geringen Anzahl Kindern, die dringend medizinisch versorgt werden mussten. Stattdessen verlegten die Behörden 9.000 in ein nahe gelegenes Lager und 1.000 auf eine Passagierfähre, Hunderte weitere auf zwei zusätzliche Marineschiffe. Tausende wurden nach den Bränden obdachlos und hungernd zurückgelassen, viele von ihnen schliefen auf der Straße. Einige Anwohner griffen Migranten auf der Flucht vor den Flammen an und hinderten sie daran, durch ein nahe gelegenes Dorf zu ziehen. Flüchtlinge protestierten in der Nähe der Stadt Mytilene gegen den Bau eines neuen Lagers, für das Recht, die Insel zu verlassen und riefen die deutsche Regierung zur Hilfe auf. Ihre Bitten wurden mit Tränengas und einem beleidigenden „Versprechen“ von Bundesinnenminister Horst Seehofer beantwortet, 100-150 der Flüchtlinge aufzunehmen.
Das Moria-Feuer reduzierte das Flüchtlingslager Moria mit 3.000 Plätzen zu Asche und ließ rund 13.000 Migranten ohne Schutz auf Lesbos festsitzen
Von Anfang 2015 bis zum vergangenen Jahr wurde Griechenland von der populistischen SYRIZA-Partei regiert, die trotz ihres Namens („Koalition der radikalen Linken“) pflichtbewusst die von den europäischen Zentralbankern diktierten harten Sparmaßnahmen durchsetzte. Da die Bevölkerung durch Entbehrungen erschöpft war, gewann die rechte ND im Juli 2019 im griechischen Parlament eine Mehrheit für ein nationalchauvinistisches, immigrantenfeindliches Programm. Sie verbrachte dann das nächste Jahr damit, eine brutale Welle immigrantenfeindlicher Repression zu entfesseln. Mitsotakis appellierte an die Stammwähler der faschistischen Goldenen Morgenröte (Chrysí Avgí) und vollzog ein Programm der Entführung von Flüchtlingen mitten in der Nacht. Sie wurden dann in motor- und ruderlosen Schlauchbooten in der Ägäis ausgesetzt, während die Entführer zuerst sorgfältig ihre Habseligkeiten raubten. Seit dem 1. März bis Mitte August waren mindestens 1.072 Asylsuchende in mindestens 31 separaten Abschiebungen auf See ausgesetzt worden (New York Times, 14. August 2020).
Ein syrischer Flüchtling beschrieb gegenüber Human Rights Watch die erschütternde Tortur:
„Sie [die griechische Polizei] setzte uns in ein Militärboot und stieß uns [vom Deck] in ein kleines [aufblasbares] Boot, das keinen Motor hat. Sie ließen uns auf diesem Boot zurück und nahmen all unsere privaten Sachen, unser Geld und unsere Ausweise mit. Wir waren auf dem Boot und uns war schwindelig. Wir mussten uns übergeben. Sie [die griechische Küstenwache] haben uns nichts gesagt (....). Wir waren mitten auf dem Meer. Wir riefen die türkische Küstenwache. Sie kamen und nahmen unser Boot.“
Außerdem hat die griechische Küstenwache Migranten daran gehindert, überhaupt auf griechischen Inseln zu landen. Eine Geflüchtete erzählte, wie griechische Beamte das Boot, auf dem sie sich befand, vor der Küste von Lesbos stoppten, den Treibstoff entfernten und es zurück in türkische Hoheitsgewässer schleppten. Andere Migranten wurden auf See abgefangen und auf fragile Rettungsinseln vor der Insel Samos überführt, während in einigen Fällen Flüchtlinge auf der unbewohnten Insel Ciplak ausgesetzt wurden.
All dies ist Teil des Plans der griechischen Regierung, hart gegen Flüchtlinge vorzugehen. In einem Interview mit CNN Griechenland (2. Juni) rühmte sich der Minister für Migration und Asyl Notis Mitarachi, dass „der erste Schritt für uns darin bestand, die Grenzen besser zu bewachen, und bereits im letzten Quartal konnten die Ströme [der Migranten] dank der großen Anstrengungen der Streitkräfte, der Polizei und der Küstenwache um mehr als 90 % reduziert werden“. Im Januar kündigte die Regierung Pläne zum Bau einer „schwimmenden Barriere“ in der Ägäis an, um Migranten fernzuhalten. „Die 2,7 km lange Netzbarriere soll vor Lesbos errichtet werden (…) Das Bollwerk wird sich von Pylonen 50 Meter über dem Wasser erheben und mit Blinklichtern ausgestattet sein, um die Seegrenzen Griechenlands abzugrenzen.“ (The Guardian, 30. Januar 2020).
Aber die Unterdrückung von Migranten ist keine Neuheit der Neuen Demokratie. Die frühere bürgerliche „linke“ Regierung von SYRIZA unter dem ehemaligen Premierminister Alexis Tsipras führte vier Jahre lang die rassistische Dublin-III-Verordnung der EU durch, die Flüchtlinge daran hindert, Griechenland und Italien zu verlassen um wohlhabendere nordeuropäische Länder zu erreichen. Unter Tsipras‘ Aufsicht durften die erbärmlichen Zustände auf Lesbos, Chios, Samos und anderen Landeplätzen für Migranten schwären, als er das deutsche Diktat, die Asylanträge in Griechenland zu bearbeiten, pflichtbewusst umsetzte. Natürlich wurden viele Anträge nie bearbeitet, und bei einigen dauerte es Jahre, bis sie die staatliche Bürokratie durchliefen, so dass die Flüchtlinge auf den Inseln festsaßen.
In ähnlicher Weise wurde unter SYRIZA das verhasste „dritte Memorandum“ (mit der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds) der von den Bankern auferlegten Sparmaßnahmen verabschiedet, was die ohnehin schon leidenden Massen Griechenlands noch tiefer in die Armut stieß. Tsipras gelobte, die beiden vorhergehenden Memoranden zu „zerreißen“, nur um dann SYRIZAs eigene Sparmaßnahmen nach einem unechten Referendum im Juli 2015 durchzusetzen, in dem „NAI“ (ja) für Austerität und „OXI“ (nein) für Austerität stand. Im Gegensatz zum Großteil der griechischen Linken (mit Ausnahme der Kommunistischen Partei Griechenlands, KKE), der Tsipras folgte und bei diesem Ablenkungsmanöver mit „Nein“ stimmte, widersetzte sich die Liga für die Vierte Internationale bei dem betrügerischen Referendum allen Seiten und forderte die Arbeiter auf, Maßnahmen zu ergreifen, um weitere Sparmaßnahmen zu blockieren.1 Jetzt drängen Mitsotakis und die Neue Demokratie auf Arbeitsmarkt-„Reformen“, um den griechischen Inlandsmarkt für ausländische Investitionen „frei zu machen“ und die Eurobankiers weiter zu beschwichtigen, und setzen damit die Arbeit seines „linken“ Vorgängers fort.
Die mehr als 26.000 Flüchtlinge, die derzeit in griechischen Gefangenenlagern schmachten, sind vor den vom Imperialismus verursachten Verwüstungen und Entbehrungen im Nahen Osten, in Afrika und Teilen Asiens geflohen, ebenso wie die Millionen, die 2015 und 2016 versuchten, nach Europa einzureisen. Viele der Migranten, die sich derzeit auf Lesbos aufhalten, sind auf der Flucht aus Afghanistan, einem Land, das durch jahrzehntelange US-imperialistische (und auch BRD-imperialistische) Besatzung geschunden wurde, im Namen eines „Krieges gegen den Terror“, der von drei aufeinander folgenden amerikanischen Präsidenten, republikanischen wie demokratischen, geführt worden ist. Darüber hinaus gehen viele der Taliban-Dschihadisten, gegen die die US-Streitkräfte seit 2001 kämpfen, auf die Mudschaheddin zurück, die von der CIA (im Rahmen ihrer „Operation Zyklon“) finanziert, ausgebildet und bewaffnet wurden, um in den 1980er Jahren einen heiligen Krieg gegen eine von der Sowjetunion unterstützte afghanische Reformregierung zu führen.
Ob SYRIZA oder Neue Demokratie, ob „links“- oder rechtsgerichtet, kapitalistische Regierungen dienen den Interessen des Kapitals. In dieser Epoche des zerfallenden Imperialismus, inmitten der sich ausbreitenden Kriege im Gefolge der Konterrevolution, die die Sowjetunion zerstörte, sind Millionen gezwungen worden, aus ihren verwüsteten Heimatländern zu fliehen. Infolgedessen wurden nach der Welle von einer Million syrischer Flüchtlinge im Jahr 2016 die Grenzen der rassistischen Festung Europa verstärkt, um Flüchtlinge abzuhalten, während die Eurobankiers weiterhin Sparmaßnahmen durchsetzen, um die Profite der wankenden deutschen Banken zu stützen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Griechenlands ist von 2007, am Beginn der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise, bis Ende 2018 um 33 % gesunken (Macropolis, 6. März 2019). Nun ist es aufgrund von Schließungen infolge der Coronavirus-Pandemie in der ersten Hälfte des Jahres 2020 um weitere 15 % gefallen.
Tausende vertriebene Migranten und Flüchtlinge protestieren am 11. September vor der Stadt Mytilene auf Lesbos.
Mehr als 400.000 Menschen sind in den letzten zehn Jahren aus Griechenland ausgewandert, die Hälfte davon Jugendliche. Mit einer offiziellen Arbeitslosenquote von jetzt 18 % (der höchsten in der Europäischen Union) und einer Jugendarbeitslosigkeit von stratosphärischen 38 % sowie einem Einbruch des Tourismus durch das Coronavirus hat sich die Krise um die Flüchtlinge, die in den überfüllten Internierungslagern zusammengepfercht sind, zugespitzt. Angesichts einer rechtsgerichteten Regierung und offener Faschisten, die in einwandererfeindlicher Rhetorik und in Aktionen kooperieren, ruft die Liga für die Vierte Internationale auf: schließt die Konzentrationslager, lasst alle Migranten frei und gewährt ihnen die gleiche Reisefreiheit wie allen anderen. Gleichzeitig fordern wir Asyl für Flüchtlinge und volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten. Wir rufen auch zu Arbeiteraktionen gegen rassistische Angriffe auf Immigranten auf. Und für die Flüchtlinge, die vor den vom Imperialismus verursachten Verwüstungen fliehen und nach Nord- und Westeuropa weiterziehen wollen, sagen wir: Lasst sie rein!
Diese Forderungen in dem gegenwärtigen reaktionären politischen Klima zu stellen, wird nicht leicht sein. Klassenbewusste Arbeiter und Kämpfer für die Unterdrückten müssen betonen, dass dieselben reaktionären, immigrantenfeindlichen Kräfte auch Todfeinde der griechischen Arbeiterklasse sind. Zusammen mit einem Vorstoß zur Vertreibung von Flüchtlingen versucht die ND-Regierung, unerbittliche Sparmaßnahmen und gewerkschaftsfeindliche Arbeitsmarkt-„Reformen“ durchzusetzen. Obwohl das griechische Proletariat durch die drakonischen Kürzungen geschwächt ist, hat es die Macht, die rassistische Repression zu besiegen und die Gewerkschaftszerstörer zu zerschlagen. Hafenarbeiter in Piräus (und Thessaloniki) haben zusammen mit Transport- und Raffineriearbeitern, Beschäftigten im Gesundheits-, Bildungs- und Tourismussektor die Macht, die griechische Wirtschaft zum Erliegen zu bringen, wie es sich bei jedem Streik der Fährarbeiter zeigt. Aber um zu gewinnen, muss man über die Grenzen einer Nation von 11 Millionen Menschen hinausgehen.
Der Schlüssel liegt darin, den Kern einer wahrhaftleninistisch-trotzkistischen Arbeiterpartei zu schmieden, die den Kampf für sozialistische Revolution in Griechenland und der Türkei, auf dem Balkan und in ganz Europa und im Nahen Osten anführt.
Mobilisiert Arbeiter zur Verteidigung von Immigranten und Flüchtlingen
Wie hat die griechische Linke auf die Ereignisse in Moria reagiert? Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), die größte noch verbliebene stalinistische Massenpartei in der kapitalistischen Welt, mit Zehntausenden von Anhängern und einem eigenen Gewerkschaftsbund (PAME), rief dazu auf, „Moria zu schließen, keine neuen Lager“, „die Flüchtlinge und Einwanderer aus Lesbos freizulassen“ und Flüchtlinge und Migranten in sichere Einrichtungen auf dem griechischen Festland zu überführen, „um mit allen Mitteln ihren Übergang in andere europäische Länder, für die sie ausgewandert sind, zu erleichtern“ (Rizospastis, 10. September). Was aber, wenn andere europäische Länder sie nicht hereinlassen; was, wenn sie in Griechenland bleiben wollen? Da sie keine Forderung nach Asyl für Flüchtlinge und vollen Staatsbürgerrechten für alle Einwanderer erhebt, Forderungen, für die sich echte Marxisten – Trotzkisten – seit Jahrzehnten eingesetzt haben, läuft die Position der reformistischen KKE auf einen kaum getarnten chauvinistischen Aufruf hinaus, die Flüchtlinge aus Griechenland herauszuschaffen.
OKDE-Spartakos, das dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale (ICFI, ehemals Vereinigtes Sekretariat) des verstorbenen Ernest Mandel angegliedert ist, ruft zu „gemeinsamen Arbeitskämpfen“ von Einheimischen und Immigranten sowie zu internationalen Mobilisierungen auf. In einer Erklärung zum Brand von Moria fordern sie „Freizügigkeit und Integration von Flüchtlingen und Migranten, ohne Grenzen“, „offene Grenzen und Dokumente für alle, ihre Integration in die Städte in requirierten Gebäuden unter menschenwürdigen Lebensbedingungen“, die „Aufhebung des Abkommens zwischen Griechenland, der EU und der Türkei“ und „Arbeitsplätze für die gesamte Arbeiterklasse“. Forderungen nach lokalen und internationalen Arbeitskampfmaßnahmen sind richtig und notwendig, doch auch die Mandelianer versäumen es, volle Staatsbürgerrechte zu fordern, während ihr utopischer reformistischer Ruf nach „offenen Grenzen“ die Illusion nährt, dass der kapitalistische Staat – der ohne Grenzen nicht existieren kann – irgendwie magisch verschwinden würde.
Währenddessen forderte die Sozialistische Arbeiterpartei (SEK), die der britischen Socialist Workers Party angegliedert ist und Erbe des antitrotzkistischen Abtrünnigen Tony Cliff ist, „Asyl und Unterkunft für alle“, Schließung der Lager, die „Verbindung der Arbeiterforderungen mit der Forderung nach Asyl und Unterkunft für Flüchtlinge“ und natürlich „offene Grenzen, damit Flüchtlinge hier und in ganz Europa willkommen sind“. Eine ähnliche Position wird von der EEK (Revolutionäre Arbeiterpartei) vertreten, die einst mit Jorge Altamira von der argentinischen Partido Obrero verbunden war (die ihn im vergangenen Jahr ausgeschlossen hat). Nach frommen Gelöbnissen, „den Flüchtlingen beizustehen, um alle ihre Forderungen zu erfüllen und in Würde und Freiheit zu leben“, fordert die EEK: „Öffnung der Grenzen für die Freizügigkeit der Flüchtlinge und gleichzeitig Wohlfahrtsmaßnahmen für Gesundheit, Wohnung und Arbeit“ (Nea Prooptiki, 9. September). Während sie beteuert, dass solche Maßnahmen „unvereinbar mit der Regierung der Feinde des Lebens der Menschen“ – d. h. mit der Neuen Demokratie – sind, sagt sie nichts über eine Revolution zum Sturz des kapitalistischen Staates aus.
Auffallend rechts vom Großteil der griechischen Linken steht die Trotzkistische Gruppe Griechenlands (TOE), der ex-trotzkistischen Internationalen Kommunistischen Liga (IKL) angeführt von der Spartacist League/U.S. Der letzte veröffentlichte Artikel der TOE datiert vom März 2020, von dem eine „überarbeitete“ übersetzte Version in Workers Vanguard (29. Mai) veröffentlicht wurde, was wiederum das letzte ist, was die Welt von der SL/USA gehört hat [bis zum Zeitpunkt der Erst-Veröffentlichung dieses Artikels]. Die Hauptforderung des WV-Artikels mit dem Titel „Nieder mit dem Krieg gegen Flüchtlinge!“ ist „Volle Staatsbürgerrechte für alle, die es nach Griechenland geschafft haben!“ Eine interessante und aufschlussreiche Forderung, denn der Artikel fordert ausdrücklich nicht Asyl für Flüchtlinge und stellt keine Forderungen im Namen der Flüchtlinge, die versuchen, nach Griechenland einzureisen. Wir haben schon früher polemisiert gegen diese „‚Kommunisten‘ die sich gegen die Forderung nach Asyl für syrische Flüchtlinge wenden“2 aber in diesem Fall wird ihre Linie in krasser Weise sichtbar.
Die TOE/IKL berichtete, dass Mitsotakis „Armeeeinheiten und Aufstandspolizei in die Grenzregion Evros entsandt hat, wo die staatlichen Streitkräfte Tränengas, Betäubungsgranaten und Wasserwerfer eingesetzt haben, um die Migranten zurückzutreiben“, und dass ein Video ein „Schiff der Küstenwache zeigte, das in der Nähe eines Flüchtlingsschlauchbootes ins Meer schoss und versuchte, es zum Kentern zu bringen, als es sich der Insel Lesbos näherte“. Ruft die IKL nun dazu auf, diese Flüchtlinge, die Gas, Granaten und Schüsse ertragen mussten, nach Griechenland einreisen zu lassen? Nein, das tut sie nicht. Oder prangert die IKL die brutale chauvinistische Repression an, die gegen die Flüchtlinge entfesselt wird, sobald sie die griechischen Hoheitsgewässer erreichen? Nein, das tut sie nicht. Machen sich diese Pseudotrotzkisten überhaupt die Mühe, die Entführungen, ausgeführt durch die griechische Regierung, von Flüchtlingen, „die es bis nach Griechenland geschafft haben“, um sie ins Meer zurück zu treiben, anzuprangern? Nein, das machen sie nicht.
Die IKL (die mit Tsipras Referenden im Jahr 20153 einherging) prangerte erneut Forderungen nach einer Abschaffung des rassistischen Dublin-III-Abkommens an und deutete – in einem ihrer charakteristischen Strohmann-Argumente – an, dass der Widerstand gegen eine „bestimmte EU-Verordnung“ einer „stillschweigenden Unterstützung der EU“ gleichkomme. Dennoch geben sie selbst zu, dass Dublin III bedeutet, dass „Tausende von Flüchtlingen in Konzentrationslagern in Griechenland und anderswo schmachten, die auf Geheiß des deutschen Imperialismus errichtet wurden“. Und angesichts dessen, dass in ihrem Artikel eingeräumt wird, dass Gebiete in Afghanistan, Irak und Syrien, aus denen Flüchtlinge geflohen sind, „durch Kriege insbesondere der US-amerikanischen, britischen und französischen Imperialisten in Schutt und Asche gelegt wurden, wodurch Millionen von Menschen gezwungen wurden, anderswo Asyl zu suchen“, fordert die IKL deshalb, dass die USA, Großbritannien oder Frankreich diese Opfer des imperialistischen Gemetzels aufnehmen? Nein, das tut sie nicht. Stattdessen behauptet sie, dass jeder „Aufruf zur ‚Öffnung der Grenzen‘ für Flüchtlinge“ „Illusionen in die griechische Bourgeoisie und in das ‚humanitäre‘ Gesicht der Imperialisten in der EU fördern“ wird.
Aber wenn man genau hinsieht, stellt sich heraus, dass die TOE mit der chauvinistischen Linie der IKL einige Probleme hatte, selbst nach vier Jahren noch, in denen sie diese Linie verkündet hat. Durch den Hinweis auf eine „revidierte“ Version des Artikels neugierig gemacht, warfen wir einen Blick auf die griechische Version auf der IKL-Website. Dort lasen wir eine Fußnote, in der es hieß:„* In der vorherigen Fassung schrieben wir: ‚Als Marxisten haben wir die Perspektive, die multinationale Arbeiterklasse im Kampf gegen alle rassistischen Einwanderungsgesetze der Kapitalisten zu mobilisieren.‘ Der vorstehende Vorschlag widerspricht unserer Linie im Rest des Artikels und impliziert eine Position der offenen Grenzen in Bezug auf den bürgerlichen Staat....“.
Also wurde die einfache Erklärung der TOE, die dazu aufrief, die Arbeiter zum Kampf gegen alle rassistischen kapitalistischen Einwanderungsgesetze zu mobilisieren, von der IKL-Führung niedergeschmettert! „Obwohl wir gegen rassistische Gesetze sind“, wie die Fußnote fromm behauptet, beschränkt sich die leere „Opposition“ der IKL auf „diejenigen, die ins Land gekommen sind“. Während die KKE also Flüchtlinge schnell aus Griechenland herausdrängen will, würde die IKL sie nicht einmal hereinlassen! Verschiedene Marken, derselbe Sozialchauvinismus.4
Wie wir bereits bemerkt haben, war „damals, als die Spartacist League für den revolutionären Trotzkismus stand“, ihre Forderung nach vollen Staatsbürgerrechten für alle, die es hierher geschafft haben, eine Forderung nach gleichen Rechten für alle, und „ging einher mit Forderungen nach Asyl für Flüchtlinge aus Haiti, Mittelamerika, Sri Lanka und anderswo.“5 Nun hat die ex-trotzkistische IKL diese einschließende Forderung in eine Politik des Ausschlusses derjenigen verwandelt, die es nicht „hierher geschafft haben“. Die LVI erklärt, ebenso wie die damals revolutionäre IKL, dass Grenzen nicht im Kapitalismus, nicht einmal in der Zeit nach einer Revolution (die sich gegen eine Konterrevolution verteidigen muss) abgeschafft werden können, sondern nur in einer staatenlosen, klassenlosen sozialistischen Gesellschaft mit Überfluss für alle. Bis dahin versuchen wir in der Tat, die Arbeiter gegen alle rassistischen, kapitalistischen Einwanderungsgesetze zu mobilisieren, und wenn die verzweifelten Opfer der imperialistischen Plünderung vor der Tür
Setzt die Macht der Arbeiter ein, um faschistische Angriffe zu stoppen!
Trotz heftiger Angriffe durch die Banken und kapitalistischen Herrscher wehren sich die griechischen Arbeiter. Am 24. September veranstalteten fünf Seefahrtsgewerkschaften einen 24-stündigen Streik für einen „neuen Tarifvertrag, Lohnerhöhungen und bessere Sozialleistungen für arbeitslose Seeleute“ (ekathimerini.com, 21. September). In derselben Woche streikten Arbeiter in der Luftfahrt gegen „unfaire Einkommensabzüge“ und legten 58 Inlandsflüge still. Am 15. Oktober hielten öffentliche Bedienstete einen 24-stündigen Streik für eine bessere Bezahlung der Beschäftigten im Gesundheits- und Bildungswesen und für mehr Neueinstellungen während der Pandemie ab. Im Juni strömten Arbeiter im Krankenhauswesen in einem 24-stündigen Streik durch die Straßen von Athen, und bereits im Februar streikten Arbeiter des öffentlichen Dienstes und des Transportwesens gegen ein Rentengesetz, das „die Sozialversicherung privatisiert und Tausende junger Arbeiter dazu drängt, sich privat zu versichern“ (Greek Reproter, 18. Februar).
Diese Arbeitskampfmaßnahmen müssen mit dem Kampf gegen rassistische, immigrantenfeindliche Repression und nationalistischen Chauvinismus verknüpft werden. Das jüngste Gerichtsurteil gegen ehemalige Abgeordnete des Chrysí Avgí (Goldene Morgenröte) wegen „Führung einer kriminellen Organisation“ und „Beteiligung an einer kriminellen Organisation“ wurde von Linken verschiedener Tendenzen weithin begrüßt. Anführer von Chrysí Avgí, darunterder „Neo“-Nazi-Gründer Nikolaos Michaloliakos, wurden zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil war der Höhepunkt eines jahrelangen Prozesses, der mit der brutalen Ermordung des griechischen antifaschistischen Rappers Pavlos Fyssas im Jahr 2013 durch das Chrysí Avgí-Mitglied Giorgos Roupakias begann. Roupakias wurde des Mordes für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt, während 15 weitere als Komplizen verurteilt wurden. Dazu wurden fünf Faschisten wegen versuchten Mordes an drei ägyptischen Fischern im Jahr 2012 verurteilt, und vier weitere wurden eines Angriffs auf Mitglieder der KKE-Gewerkschaft PAME im Jahr 2013 für schuldig befunden.
Kriminelle Mörder sind sie mit Sicherheit, und faschistische Organisationen sind eine tödliche Bedrohung für alle Unterdrückten. Aber während die ND-Regierung aus ihren eigenen Gründen hinter Chrysí Avgí her sein mag, die bei den Wahlen im vergangenen Jahr alle Parlamentsabgeordneten verloren hat, wird die Bourgeoisie die Faschisten in Reserve behalten. Andere rassistische ultrarechte Gruppen sind aufgetaucht, darunter Elliniki Lysi (Griechische Lösung), die bereits zehn Parlamentsabgeordnete hat. Darüber hinaus handelt es sich bei den Anklagen wegen Führung und Beteiligung an einer „kriminellen Organisation“ um Verschwörungsgesetze, die gegen die Linke und die Arbeiterbewegung eingesetzt werden können und werden, wie es die RICO-Gesetze (Racketeer-Influenced Criminal Organization) gegen Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten waren. Derart weit gefasste und vage formulierte Gesetze würden zweifellos gegen Arbeiterverteidigungsgarden eingesetzt werden. Die Arbeiterklasse muss ihre eigene Macht hervorbringen, um die faschistische Bedrohung zu besiegen, und sich nicht an den kapitalistischen Staat richten.
Die Coronavirus-Pandemie und die sich entfaltende globale wirtschaftliche Depression haben den Zerfall des imperialistischen Kapitalismus beschleunigt. Heute braucht Griechenland dringend klassenkämpferische Aktionen gegen die fremdenfeindliche und faschistische Reaktion. Doch die griechische Pseudolinke und insbesondere die stalinistisch-reformistische KKE haben ihre Unterstützer jahrzehntelang im Sumpf der bürgerlichen Politik versenkt, und tun dies auch weiterhin. Um die ständig zunehmende Repression gegen Flüchtlinge und Immigranten und die fortgesetzten Angriffe auf die Arbeiterklasse zu bekämpfen, ist die dringendste Aufgabe die Bildung einer wirklich leninistisch-trotzkistischen Arbeiterpartei, die den Kampf für internationale sozialistische Revolution zur endgültigen Abschaffung der kapitalistischen Barbarei anführen kann. ■
- 1. Siehe „Greek Workers: Defeat the Bankers’ Diktat, Occupy the Banks and Ports!“ und „What Road for Greece: Perpetual Debt Peonage or Workers Revolution?“ in The Internationalist Nr. 41, September-Oktober 2015).
- 2. Siehe unser Artikel „Strange Encounters with the ICL“, The Internationalist Nr. 44, Sommer 2016.
- 3. Siehe „The ICL on Greece: Goodbye Trotsky, Hello Minimum Program“, in The Internationalist Nr. 41.
- 4. Wie wir bereits berichtet haben, wurden bei einer Sitzung der IKL-Führung im vergangenen Jahr zwei Mitglieder, die an der Arbeit des T.O.E. beteiligt gewesen waren, wegen des Vorwurfs „rassistischen“ Verhaltens ausgeschlossen. Siehe „Spartacist League Declares Bankruptcy“, The Internationalist Nr. 60, Mai-Juli 2020.
- 5. Siehe „Spartacist League vs. Refugees“, The Internationalist Nr. 47, März-April 2017.