August 2019
Olli Weiß,
1985 – 2019
Revolutionärer
Klassenkämpfer
für die Unterdrückten
Olli Weiß im Garten des Museo-Casa León Trotsky in Coyoacán, Mexiko, August 2018. Zum Programm von Trotzki gewonnen, hat Olli seine revolutionäre Gesinnung nie geändert, sondern dafür gekämpft, sie konsequent in die Tat umzusetzen.
Unser Genosse Oliver Weiß ist am 22. Juli gestorben. Laut dem ärztlichen Befund, war die Todesursache ein mehrfacher Herzinfarkt, als er beim Joggen kollabierte. Sein total unerwarteter Tod war ein unglaublicher Schock für seine Familie, seine Freundin, seine Genossen, Freunde und alle die ihn kannten; er erschien immer so fit und kräftig. Nur wenige Wochen vorher feierte er seinen 34. Geburtstag. Der schreckliche Tod des Genossen Olli ist ein überaus schwerer Schlag für die Internationalistische Gruppe/Deutschland, die er mitbegründet hat und der er eine Hauptstütze war, und ein unschätzbarer Verlust für unsere Liga für die Vierte Internationale, zu deren internationaler Führung er zählte. Die Arbeiterklasse weltweit hat einen außerordentlich vielversprechenden kommunistischen Vorkämpfer verloren.
Olli war Organisator der Internationalistischen Gruppe und produzierte die Zeitung der IG, Permanente Revolution. Er hat auch maßgeblich an der Produktion der Zeitung unserer italienischen Sektion, L´internazionalista, mitgewirkt und spielte eine führende Rolle bei den Aktivitäten der LVI in Europa. Genossen der amerikanischen, brasilianischen und mexikanischen Sektionen haben ihn und seine vielseitigen Begabungen kennengelernt, als er für den technischen Verlauf der ersten internationalen Konferenz der Liga für die Vierte Internationale im November 2017 verantwortlich war und über die Arbeit in Europa berichtete. Viele andere kannten ihn aus fast zwei Jahrzehnten verschiedener Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung und waren von seiner Hingabe, Geradlinigkeit und Aufrichtigkeit inspiriert.
Wir alle trauern um seinen Tod. Unsere Tränen und Rage können uns nur in der Überzeugung bestärken, mit gesteigertem Einsatz für eine wiedergeschmiedete Vierte Internationale zu kämpfen, die revolutionäre Internationale, der Olli Weiß mit ganzem Herzen sein allzu kurzes Leben widmete. Das ist die größte Ehre, die wir unserem gefallenen Genossen erweisen können.
Olli wurde in einer proletarischen Familie im Arbeiterstaat DDR (die Deutsche Demokratische Republik) geboren. Die Katastrophe der „demokratischen“ kapitalistischen Konterrevolution als Kind zu erleben, gab Olli ein Verständnis der enormen Errungenschafen für Arbeiter, Frauen und Unterdrückte, die durch den Sturz des Kapitalismus und eine kollektivierte Planwirtschaft - trotz Misswirtschaft und Unterhöhlung durch die stalinistische Bürokratie - ermöglicht worden waren. Schon sehr früh suchte er nach einem politischen Programm, das die Unterdrückung und Ausbeutung des Kapitalismus auf der ganzen Welt beenden kann. Im Alter von 15 Jahren hatte Olli genug politische Erfahrung und Wissen gesammelt, um die radikalen Ansprüche der reformistischen Anarchisten- und Anti-Globalisierungs-Milieus zu durchschauen, die ihn ursprünglich angezogen hatten. Es waren die Ideen des revolutionären Trotzkismus, die ihm von der Welt, wie er sie erlebte, ein wirkliches Verständnis gaben.
Mit der Absicht, für die bolschewistische Politik Leo Trotzkis zu kämpfen, trat Olli Anfang 2002 der Spartakist-Jugend und ein Jahr später der Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD) bei, die deutsche Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL). Während drei Jahrzehnten hat die IKL den echten Trotzkismus vertreten, bis sie, nach der Konterrevolution in der DDR, der UdSSR und der übrigen osteuropäischen, deformierten Arbeiterstaaten in den Jahren 1989-1992, vom Geist des Defätismus überwältigt worden war und sie 1996 von ihrem einstmals revolutionären Programm Abschied nahm. Obwohl die IKL zum Zeitpunkt als Olli sich ihr anschloss nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst war, inspirierte ihn ihre ausgesprochen revolutionäre Vergangenheit, insbesondere die Intervention der damals revolutionären IKL zur Verteidigung der DDR gegen die kapitalistische Konterrevolution und für proletarische politische Revolution, um die stalinistische Bürokratie zu stürzen.
Wie Olli später schrieb, als er 2017 in die Liga für die Vierte Internationale eintrat, „Nach fast 1,5 Jahren von Diskussionen und gemeinsamer Arbeit bin ich davon überzeugt, dass die LVI das ist, was ich dachte, dass die IKL es wäre, als ich Mitglied der Spartakist-Jugend Berlin im frühen 2002 und der SpAD in 2003 wurde“. Zum Programm von Trotzki gewonnen, trotz Revisionen, Abweichungen und Abstoßung seitens der IKL, hat Olli seine revolutionäre Gesinnung nie geändert, sondern dafür gekämpft, sie konsequent in die Tat umzusetzen.
Innerhalb der SpAD ist Olli immer sehr aktiv an die Aufgaben herangegangen und hat sie in professioneller Weise erledigt. Im Alter von 20 Jahren hatte er die Produktion ihrer Zeitung übernommen, die er während der nächsten 12 Jahre weiter gewissenhaft fortführte. Olli wurde bald Organisator der Jugendgruppe der Berliner SpAD und ist dann in die Leitung der Ortsgruppe eingetreten. Ab 2006 wurde er ins Zentralkomitee der Organisation gewählt. Wie einer seiner ehemaligen Genossen bemerkte, „obwohl sein eigenständiges Denken der IKL intern immer ein Dorn im Auge war, führte seine Geschicklichkeit in allem, was er tat, dazu, dass die Führung es vorzog, zu versuchen, ihn zu kooptieren“. Aber,
„Olli war einzigartig, indem er sich nicht leicht dem Druck beugte. Er hat sich Zeit gelassen, um seinen Standpunkt zu politischen Fragen zu formulieren. Er ließ sich nicht leicht überreden, und hat seine Überzeugungen aufrecht erhalten. Oft neigen wir dazu, solche Handlungen als Mut zu beschreiben. Ich glaube, dass Olli es nicht so sah. Ich glaube, er sagte einfach was er dachte, und tat was er sagte“.
Diese geradlinige Denk- und Handlungsweise hat Olli später zur Liga für die Vierte Internationale hingezogen, wo er, wie er sagte, vom Motto der brasilianischen Genossen, dass Worte und Taten in Einklang zu bringen sind, besonders imponiert war.
Olli war immer ein Aktivist im besten Sinne, der die Pseudotrotzkisten hartnäckig bekämpfte, der aber wachsam auf mögliche Widersprüche war, die erlauben würden, den wahren Inhalt ihrer Inkonsequenzen und ihres Verrats im Kampf aufzuzeigen. Dies hob ihn oft ab von der Vorliebe der IKL, mit abstrakten Kanzelpredigten die Arbeiterklasse und die Linke (und wenn diese nicht zuhörten, sich selbst) zu belehren. Er setzte sich stark für die Verteidigung von verschiedenen Linken ein, die seit Jahren von den sogenannten „Antideutschen“, Befürworter des Zionismus, angegriffen wurden, nicht selten physisch. Ollis wurde bei seiner Beerdigung auch gedacht von Eleonora Roldán Mendívil, der linken Dozentin an der Freien Universität Berlin, die aufgrund verleumderischer Anschuldigungen des „Antisemitismus“ (wegen ihrer Verteidigung der Rechte der Palästinenser) aus ihrem Lehrauftrag entlassen wurde. Eine der ersten Kampagnen, die Olli nach seinem Beitritt zur LVI unternahm, war Eleonoras Verteidigung, einschließlich der Abfassung einer machtvollen Solidaritätserklärung und des Kampfes innerhalb seiner Gewerkschaft, um diese zu Klassenkampfmaßnahmen zu Eleonoras Gunsten zu bewegen.
Wie auch andere in der IKL, fühlte sich Olli öfters eingeschränkt, worauf er unter anderem mit gesteigertem persönlichen Einsatz entgegnete. Wie er in seinem Antrag auf Mitgliedschaft in der LVI schrieb: „Seit langer Zeit, verhielt ich mich kritisch gegenüber gewissen Tendenzen innerhalb der SpAD (Passivität; sofortige Kehrtwendung angesichts Kritik des Internationalen Sekretariats; bürogebundene Existenz), und im Laufe der Jahre habe ich gegen einzelne Revisionen der politischen Linie (z.B. über Führungs- oder Exekutivämter; nicht zu versuchen, Möglichkeiten in der DDR zu untersuchen vor dem Mauerfall, usw.) und falsche Positionen (z.B. die Nicht-Opposition zur Privatisierung, Outsourcing, usw.) gekämpft“. Immerhin habe er „Illusionen gehegt, dass mit einigen Korrekturen hier und da und einem Übergang von jüngeren, weniger ausgebrannten Kadern in die zentrale Leitung eine Art von Selbstreform der IKL zustande kommen könnte, dass ich bloß durchhalten, um ausgewählte Punkte, wo ich möglicherweise gewinnen könnte, kämpfen und abwarten müsste“.
So z.B. zum neuerfundenem Prinzip der IKL, es sei ein Verrat, wenn Revolutionäre für Leitungsämter kandidierten, auch wenn sie die Bühne der Wahlkampagne nur dazu benutzten, kommunistische Prinzipien zu verbreiten, und sie es ablehnten, solche Exekutivpositionen im kapitalistischen Staat anzutreten, schrieb Olli unverblümt:
„Ich bin nach wie vor nicht davon überzeugt, dass das bloße Kandidieren eines Revolutionärs für ein ausführendes Amt des kapitalistischen Staates immer und unter allen Umständen ein Überschreiten der Klassenlinie und somit ein Verrat am Kommunismus ist“.
Er fügte hinzu: “ Ich verstehe nicht, warum jetzt plötzlich alle scharf drauf sind, schnell eine neue Linie anzunehmen…. Ich finde die Diskussion insofern merkwürdig, als dass sie nicht mal unsere eigenen Wahlkampagnen untersucht, z. B. New York 1985. Das wäre meiner Einschätzung nach Vorbedingung für ein Urteil, wie auch immer es ausfallen mag“. Natürlich wurde Ollis treffende Kritik pauschal abgetan.1
Zu Recht befürchtete Olli auch, dass die zunehmend demoralisierte und zynische Führung der IKL ihre eigene Geschichte in der DDR umschrieb, um sich von der Verpflichtung zu befreien, die wahren Lehren aus dieser Intervention auf China, Kuba und die anderen verbliebenen deformierten Arbeiterstaaten anzuwenden. Während die Führung der IKL sich in ihrem Büro zur Ruhe setzen wollte, um abstrakte Propaganda zu produzieren, wollte Olli, dass seine Partei wieder aufstehen würde, um den mutigen Kampf, den sie in der DDR geführt hatte, nun in allen verbliebenen deformierten Arbeiterstaaten nochmals zu führen.
Es war in diesem Zusammenhang, dass Olli im November 2010 einen Antrag gestellt hatte zur Streichung der Behauptung im Hauptdokument des VI. Konferenz der IKL (2010), dass das Dokument der II. Konferenz (1992) einen Fehler begangen habe, indem dieses erklärte hatte, die deutsche Sektion sollte versucht haben, schon vor dem Mauerfall in November 1989 „geeignete Propaganda in die Hände von politischen Aktivisten in der DDR zu bringen“. Wie konnte man eine solch selbstverständliche Aussage einfach verneinen?, fragte er. Und besonders mit der (falschen) Erklärung, alle oppositionellen Gruppierungen seien von der Kirche kontrolliert, was informelle pro-sozialistische Zirkel mit bewussten Konterrevolutionären gleichsetzte? Hier traf er einen Nerv bezüglich der Intervention der IKL 1989-1990 gegen die kapitalistische Wiedervereinigung Deutschlands und für eine proletarische politische Revolution in der DDR.
Diese erstmalige Intervention einer trotzkistischen Internationale gegen konterrevolutionäre, vom Imperialismus geführte Kräfte in einem schwankenden deformierten Arbeiterstaat war eine der hervorragendsten Leistungen der IKL – auch wenn, aufgrund des Kräfteverhältnisses, am Ende die Arbeiterklasse weltweit eine schwerwiegende Niederlage erlitt. Die IKL konnte diese Intervention machen, weil sie damals immer noch auf dem Boden des revolutionären Trotzkismus stand. Sie war ausgerüstet mit Trotzkis Analyse der stalinistischen Bürokratie als eine widersprüchliche, kleinbürgerliche Schicht, die auf der Basis der proletarischen Herrschaft ruhte. Im Nachhinein, vom Defätismus der bürgerlichen These vom „Tod des Kommunismus“ ergriffen, hat die IKL dieses Fundament des Trotzkismus aufgegeben. Stattdessen hat sie sich den Irrglauben zu eigen gemacht, dass die zerbrechliche stalinistische Kaste, und nicht die mächtige imperialistische Bourgeoisie, die Konterrevolution geführt habe.
Diese antimarxistische Behauptung diente als „theoretische“ Begründung für die Säuberung der IKL-Kader, die später die LVI gründeten, und trotz vielen Hin und Hers und fauler Kompromisse, um sie zu vertuschen, bleibt sie unangetastet in der Prinzipienerklärung der IKL. Wie Olli betonte, auf dieser Grundlage könnten diese ehemaligen Trotzkisten nie eine erfolgreiche Intervention gegen eine keimende Konterrevolution, oder in eine einsetzende politische Revolution, in den verbliebenen deformierten Arbeiterstaaten (China, Cuba, usw.) unternehmen. Aber in der Tat, die abseits stehende IKL, die sich vom Klassenkampf längst entfernt hat, will so etwas ja gar nicht mehr machen, so tief sind sie in ihren bequemen Lehnstühlen versunken. Olli verlor diesen Kampf in der IKL, aber in der LVI fand er die Partei, die sowohl sein Verständnis des trotzkistischen Programms für die deformierten Arbeiterstaaten als auch den Mut zu seiner Durchführung teilt.
Ollis letzter Kampf in der IKL galt der Flüchtlings- und Immigrantenfrage in den Jahren 2015-2016. Wie er später schrieb, „die sture Ablehnung [der IKL], sich der Dublin III Schnellwegdeportationsverordnung zu widersetzen, und ihre Opposition zur Forderung von Asyl für Syrer … haben mir klar gemacht, dass ich solches niemals öffentlich vertreten könnte, auch wenn ich sie intern bekämpfte. Ich wollte nichts mit einem sozial-chauvinistischen Standpunkt gegenüber Flüchtlingen zu tun haben“. Dies habe ihn „zu dem Schluss gebracht, dass die IKL für die Revolution verloren sei“.2
Es war die “scharfe und wohl überlegte Erklärung der `Besser-spät-als-niemals Fraktion´“, die ihren sofortigen Ausschluss als Folge hatte, und die machtvolle Erklärung der italienischen Genossen, die ihm geholfen haben, „die Punkte zu verbinden“ und zu verstehen, „was mit der IKL schief gegangen ist“. Nach dem Studium der Gründungsdokumente der Liga für die Vierte Internationale hat Olli in seinem Antrag auf Mitgliedschaft in der LVI geschrieben: „Mir ist klar geworden, dass bereits lange vor meinem Eintritt in die IKL diese aufgehört hatte, eine revolutionäre Organisation zu sein, und dass die LVI heute das weiterführt, wofür der Spartakismus früher stand“.
Nach der Gründung der Internationalistischen Gruppe im August 2017 war Ollis Haupttätigkeit – neben der Organisierung der ganzen Aktivitäten der IG! – die Herstellung der Zeitung. Er sprach sich dafür aus, den Namen Permanente Revolution zu wählen, in Aneignung des Titels der Zeitung der deutschen Trotzkisten in den frühen 30er Jahren, die die einschneidenden Analysen und Aufrufe des bolschewistischen Führers druckte, für eine Einheitsfront der Arbeiterorganisationen, um die Faschisten zu bekämpfen. Ollis sehr sorgfältige Arbeit ist in den sehr professionell aussehenden Ausgaben der deutschen und italienischen Publikationen der LVI veranschaulicht. Er war fest überzeugt, dass eine schlampig aussehende, unschöne Zeitung, Flugblatt, Plakat oder Transparent im Grunde genommen eine Verachtung der Leser und Leserinnen wiederspiegelt. Dazu untergrabe es unseren Anspruch, die kapitalistische Gesellschaft umzustürzen und eine neue, gerechte sozialistische Gesellschaft zu gestalten.
Olli war der Schlüssel, um streikenden Studenten und Arbeitern an der Freien Universität Berlin, in der er sein Bachelor- und Postgraduiertenstudium absolvierte, eine Klassenkampfperspektive zu vermitteln, zum Beispiel in den Kämpfen der studentischen Hilfskräfte an der FU, die Hungerlöhne bekommen in Bezahlung für ihre Arbeit, die für das Funktionieren und Aufrechterhalten der Bibliotheken und Büros unerlässlich ist. Immer warnte er in Sitzungen davor, dem kapitalistischen SPD/Linke/Grünen Berliner Senat irgendwelches Vertrauen zu schenken. „Die Sozialdemokraten von SPD und Linkspartei (von den bürgerlichen Grünen ganz zu schweigen) sind nicht nur kein kleineres Übel im Vergleich zu CDU und FDP – tatsächlich sind sie viel effektiver darin, Sozialkahlschlag durchzusetzen“, schrieb er in einem Flugblatt (April 2018). Er kritisierte die „Stop-and-Go“-Strategie der Gewerkschaftsbürokratie mit ihren endlosen unwirksamen Warnstreiks und hat sich energisch eingesetzt für die Organisierung von Streikposten, um die Bibliothek dichtzumachen während des TVStud-Streiks im Januar 2018.3
Olli hat sich Lenins Mahnung in Was tun? zu eigen gemacht, wonach es nicht das Ziel des professionellen Revolutionärs ist, ein Gewerkschaftssekretär zu sein, sondern ein Volkstribun, der alle Fälle von Unterdrückung, kapitalistischer Ausbeutung und Polizeiwillkür anprangert. Er schrieb Artikel über den Flüchtling Oury Jalloh, in einer Polizeizelle in Dessau tödlich verbrannt im Jahr 2005, und über die Notwendigkeit, die Macht der Arbeiterklasse für Flüchtlingsrechte zu mobilisieren und Abschiebungen zu verhindern, die im „Streikkurier“ der TVStud Streikenden erschienen. Nach dem brutalen Angriff auf den Sohn unseres Genossen Dr. Arturo Villalobos in Oaxaca, Mexiko im Mai 2018, hatte Olli innerhalb weniger Tage die Unterstützung von streikenden Studenten und Krankenhausmitarbeitern in Berlin für die internationale Protestkampagne erworben. Die Fotos ihrer Solidaritäts-Aktion wurden sofort nach Mexiko geschickt, wo sie bekräftigten, dass die angegriffenen Genossen nicht alleine sind.
Olli (in der Mitte, vor dem Transparent) mobilisierte streikende Krankenhausmitarbeiter in Solidarität mit dem Arzt Arturo Villalobos in Oaxaca, Mexiko wegen der Folterung seines Sohns, 15. Mai 2018.
Als Zeichen seines tief verwurzelten Leninismus waren Ollis
letzte öffentlichen Aktionen im Juli die Teilnahme an Demos
zur Verteidigung zweier Berliner Ärztinnen, die nach dem
Paragraphen 219a des StGB für ihre Bereitschaft zur
Durchführung von Abtreibungen bestraft wurden, und eine
Kundgebung zur Verteidigung der Kapitänin Carola Rackete, die
wegen ihrer Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer verhaftet
wurde. Olli hatte auch im Juni mit anderen Genossen gegen die
Schließung des Wombat’s-Hostels in Berlin demonstriert, um die
Arbeiter zu unterstützen gegen die Zerstörung ihrer
Gewerkschaft. Während opportunistische Linke – wie die
Rechts-Zentristen der Revolutionären Internationalistischen
Organisation (RIO) – wie üblich an den „linken“ Berliner Senat
appellierten, hat die Internationalistische Gruppe sich an die
Berliner Arbeiterklasse gerichtet, mit der Forderung, den
Betrieb zu besetzen.
Olli Weiß war, was alle Leninisten anstreben, ein professioneller Revolutionär. Dazu gehört die Gabe, alle wesentlichen Punkte in knapp drei Minuten zusammenzufassen, die Redezeit die wir normalerweise bei Protesten und Versammlungen zugestanden bekommen, wenn wir nicht einfach zum Schweigen gebracht werden. Als er im Dezember 2018 eine kurze Rede bei einer von RIO organisierten Demo zur Verteidigung der Gelben Westen in Frankreich halten konnte, hat Olli klipp und klar die Verteidigung der Bewegung gegen die polizeiliche Unterdrückung, ihre Polarisierung entlang der Klassenlinie durch die notwendige proletarische revolutionäre Führung, die Verteidigung von Einwanderern und Flüchtlingen durch die Arbeiterklasse und den Zugang zur Hochschulbildung gefordert. Anschließend hat er, zum Missfallen der Veranstalter, die „demokratische“ Bastelei an der französischen Verfassung, die von den französischen Mitdenkern von RIO und sonstigen Opportunisten als Forderung erhoben wurde, als Ablenkung von der proletarischen Revolution enthüllt.4
Wie dieses Beispiel zeigt, war Ollis Aktivismus, genau wie seine Aufmerksamkeit für das Detail bei der Herstellung von Propaganda, eng mit seiner Hingabe zu programmatischer Klarheit und Bereitschaft zur politischen Debatte verbunden. Er war über die angeblich revolutionären Organisationen immer sehr gut informiert. Bei der diesjährigen Fête von Lutte Ouvrière in Frankreich, Anfang Juni, hat er zusammen mit jungen Genossen polemisch mit Mitgliedern verschiedener Strömungen diskutiert. Er verteidigte leninistische und trotzkistische Positionen mit angemessener Härte, aber ohne jemals die politische Linie der Opponenten dabei zu verdrehen, wie die IKL das öfters tut, um einen billigen Punkt zu machen. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass gute Militante auch in opportunistischen und verfaulten Organisationen aufzufinden sind und dass man sie nur mit ehrlicher Polemik gewinnen kann.
Alle, die Olli in seiner politischen Tätigkeit kannten, haben zumindest drei Sachen bemerkt. Zuerst die unglaubliche Vielfalt seiner Talente. Er schrieb, hielt Reden, hat die Zeitung und Flugblätter verfertigt, gedruckt und dann verteilt, organisierte Demos, malte Transparente, sorgte für die technische Inszenierung internationaler Konferenzen (sowohl für die IKL als auch für die LVI!), und mehr noch. Ein langjähriger Genosse meinte, er war „ein großer Organisator und Denker“. Ein junger Kontakt, der viel von ihm gelernt hat, bemerkte trauernd, „für mich war er ein Titan“. Später fügte er hinzu, „Olli war ein Phänomen“. So war er.
Zweitens war sein großer Enthusiasmus geradezu ansteckend, besonders wenn er überzeugt war, für die richtige Sache zu kämpfen. Wir alle in der Liga für die Vierte Internationale haben wahrgenommen, wie er sich in alle Aufgaben hineingeworfen hat. Ein ehemaliger Genosse der mit Olli innerhalb der IKL Auseinandersetzungen hatte (und ehrlich zugab, ihn manchmal bürokratisch behandelt zu haben) meinte: „Ich glaube Olli muss sich erleichtert gefühlt haben, als er der IKL den Rücken kehrte und kurz danach sich der LVI angliederte. Es musste für ihn befreiend gewesen sein, ein Kollektiv von Genossen zu finden, mit dem er seine starken politischen Überzeugungen und sein Handeln zusammen ausrichten konnte“. Seine Freundin meinte, „Ich freue mich, dass er euch in seinem Leben gefunden hat“.
Und drittens stimmen alle überein, er war immer anständig, geradlinig, ohne Zynismus und ausweichende Manöver, „brutal ehrlich, mit anderen und mit sich selbst“. Wie ein Genosse bemerkte, „er versuchte immer zu überzeugen, immer ehrlich, niemals manipulativ“.
Der Tod von Olli erinnert uns an das tragische Schicksal von noch einem jungen Genossen, Fernando López in New York, ein eingewanderter Arbeiter, Gewerkschafter und Kommunist, der in den Tod stürzte als ihm die Abschiebung drohte.5 In beiden Fällen haben wir äußerst wertvolle Anführer verloren, die schon so viel beigetragen hatten, und noch so viel mehr für die Revolution hätten beitragen können.
Bei einem Treffen von einem Dutzend Unterstützer und Freunde der Internationalistischen Gruppe am 28. Juli, um über den Tod von Olli zu berichten und an ihn zu erinnern, wurden Briefe vom Nucleo Internazionalista d’Italia und Trabajadores Internacionales Clasistas (Klassenkämpferische Internationale Arbeiter) in den USA vorgelesen. Es wurden die bekannten Worte von Bertolt Brecht zitiert:
„Die Schwachen kämpfen nicht. Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang. Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre. Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang. Diese sind unentbehrlich“.
Olli Weiß war einer der Unentbehrlichen, und Unersetzlichen. Er hat sein ganzes Leben dem Kampf für den Kommunismus gewidmet. Kein einziger von uns kann all das tun, was er machte, wir müssen unsere Kräfte dazu vereinen und gemeinsam handeln. Olli war bekannt für seinen schnellen Witz, seinen einnehmenden und effektiven Argumentationsstil und seine unerschütterliche Beharrlichkeit, die Wahrheit in kleinen und großen Dingen zu vertreten. Die Auswirkungen seiner schneidenden Interventionen, geduldigen Erklärungen und Vorführung revolutionärer Politik in Aktion werden weit über seinen Tod hinaus anhalten, da diejenigen, die von seiner ansteckenden Begeisterung für revolutionäre Politik inspiriert sind, seinen Kampf weiterhin fortsetzen werden.
Im Spanischen wird des Öfteren zum Tod eines compañero gesagt, der Gestorbene sei ¡presente! Die harte Wahrheit ist, dass der Genosse Olli nicht weiter unter uns weilt. Dennoch, seine Ideale, sein Einsatz für die Unterdrückten und Ausgebeuteten, seine revolutionären Überzeugungen, sein trotzkistisches und leninistisches Programm, sind lebendig wie noch nie und dienen uns allen als Inspiration im Kampf für die Befreiung der Menschheit.
Alle Ehre Olli Weiß! Es lebe die Vierte Internationale!
- 1. Siehe hierzu, „Wenn Linkskommunismus die Kinderkrankheit im Kommunismus ist, was ist dann ´Linkstrotzkismus´“? von Wegenstein (Olli Weiß), 19. Januar 2007.
- 2. Siehe zu diesem Thema, „Die Flüchtlingskrise und kapitalistische Barbarei“, Permanente Revolution Nr. 1.
- 3. Siehe „Sieg dem TVStud-Streik“, Permanente Revolution Nr. 2, Sommer 2018.
- 4. Siehe, „Stoppt brutale Repression gegen ´Gelbwesten´ in Frankreich!“ Permanente Revolution Nr. 3, Frühjahr 2019.
- 5. Siehe „Fernando López, 1973-1999: Comrade, Internationalist, Revolutionary,“ The Internationalist No. 7, April-Mai 1999.