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  September 2021

Koalitionstanz bei der Wahlfarce 2021
Nix drin für die Werktätigen
und Unterdrückten

Berlins „Rot-Rot-Grüner“ Senat: Feind von Arbeitern und Immigranten

Keine Stimme für die Linkspartei – Für eine Revolutionäre Internationalistische Arbeiterpartei!

Die letzten anderthalb Jahre waren die Hölle für die Werktätigen, die Armen und die Unterdrückten in der gesamten kapitalistischen Welt. Eine tödliche Seuche, COVID-19, die allein in Deutschland über 4 Millionen Menschen infiziert und fast 100.000 Tote zur Folge hatte (von 230 Millionen Fällen und fast 5 Millionen Toten weltweit). Stop-and-Go-Schließungen, Millionen von Arbeitern in Kurzarbeit, Hunderttausende von Entlassungen in der schlimmsten Rezession seit 1949. Eine Hitzewelle im Juni, gefolgt von Sturzfluten im Juli. Ein großer Zapfenstreich vor dem Reichstag angekündigt für den 31. August [dann verschoben] zum Gedenken an die gescheiterte „Mission“ des deutschen Imperialismus als Juniorpartner bei der blutigen US-Besetzung Afghanistans. Doch der Wahlkampf für die Bundestagswahl am 26. September, bei der Bundeskanzlerin Angela Merkel nach fast 16 Jahren im Amt abgelöst werden soll, ist der gleiche alte Koalitionstanz wie immer. Bei dieser Wahl haben die Arbeiter keine Wahl.

Zu lahm, um als Zirkus bezeichnet zu werden, was bei diesen Wahlen auffällt, ist die finstere Mittelmäßigkeit der Kandidaten der großen Parteien. Armin Laschet von den Christdemokraten, der kichernde katholische Reaktionär, ist nur eine Marionette von Blackrocks Friedrich Merz. Der Sozialdemokrat Olaf Scholz ordnete als Hamburger Innensenator die brutale Zwangsverabreichung von Brechmitteln an Afrikanern an, die des Drogenhandels beschuldigt wurden, und orchestrierte dann als Bürgermeister den polizeistaatlichen Angriff auf Demonstranten auf dem G20-Gipfel 2017. Später, als Finanzminister, behauptete er, nichts von dem massiven Wirecard-Finanzskandal gewusst zu haben. Was die Grünen betrifft, eine 100% bürgerliche Partei, sie ist so wirtschaftsfreundlich, dass sie von der Financial Times, dem Sprachrohr der Londoner Banker, mit einem „Gütesiegel“ ausgezeichnet wurde. Ihre Kandidatin Annalena Baerbock hat sich bisher vor allem durch kriegstreiberisches Gerede von „erhöhtem Druck auf Russland“ und „Härte“ gegenüber China hervorgetan.

Während die deutschen Grenzen für Flüchtlinge dicht gemacht werden, gibt es einen parteiübergreifenden Konsens über die Unterstützung von Polizei und Bundeswehr, Subventionen für Kapitalisten und Austerität für alle anderen. Diese Konstellation erlaubt eine fast kaleidoskopische Vielfalt möglicher Regierungskoalitionen, einschließlich den Marktliberalisten von der FDP. Scholz kann sich mit Fug und Recht als Fortsetzer der Ära Merkel aufspielen. Der Widerspruch zwischen dem bürgerlichen Programm der SPD und ihrer Arbeiterbasis hat sich durch jahrzehntelange Koalitionen, vor allem der Großen Koalition mit der CDU, aber auch mit den anderen bürgerlichen Parteien, noch verschärft. Nachdem die SPD-Grünen-Regierung von 1998-2005 den imperialistischen Krieg auf dem Balkan und den Hartz-IV-Angriff auf Arbeiter und Arbeitslose gestartet hat, sind die offiziellen Sozialdemokraten als „kleineres Übel“ ohnehin nicht sehr glaubwürdig. Inzwischen posiert die faschistoide Alternative für Deutschland (AfD) als die einzige echte „Opposition“.

Die alternativ-sozialdemokratische Linkspartei ihrerseits bettelt nun um eine „rot-rot-grüne“ Koalition auf Bundesebene, während sie fürchtet, unter die 5%-Hürde oder die drei Sitze-Grenze zu fallen, die für eine Vertretung im Bundestag notwendig sind. Nachdem sie sich bei der parlamentarischen Abstimmung über die rückwirkende Genehmigung zusätzlicher Truppen zur Unterstützung des Abzugs der deutschen imperialistischen Streitkräfte aus Afghanistan enthalten hatte, haben die Parteispitzen nun in aller Eile ein „Sofortprogramm“ vorgelegt, das ihre frühere verbale Opposition gegen die NATO beerdigt und die Tür für die Unterstützung künftiger militärischer Interventionen offen lässt, insbesondere wenn die Truppen UN-Blauhelme tragen. Die Linke schlägt einen Mindestlohn von 13 Euro pro Stunde vor (Scholz bietet 12 Euro an), aber die Co-Vorsitzende Janine Wissler unterstreicht, dass selbst dies verhandelbar sei, usw. usf.

Was das bedeuten würde, hat sich in Berlin gezeigt, wo ein früherer „rot-roter“ Senat die Sozialwohnungen verscherbelt hat, die nun durch ein Berliner Volksentscheid im Zusammenhang mit den Wahlen am 26. September wieder in kommunales Eigentum überführt werden sollen. Die derzeitige rot-grüne Landesregierung privatisiert nun – unter einem grünen Verkehrssenator – die S-Bahn. „Rot-Rot-Grün“ hat die Werktätigen und Unterdrückten im Dienste der kapitalistischen Austerität wieder und wieder angegriffen. Die Beschäftigten der Krankenhäuser Vivantes und Charité streiken jetzt für eine Anhebung ihrer Löhne auf das Niveau der anderen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Der Grund dafür ist, dass die Reinigungs-, Transport- und Essensdienste von einer früheren „linken“ Regierung im Jahr 2002 in gewinnorientierte Tochtergesellschaften ausgegliedert wurden. Die gesamte Gewerkschaftsbewegung sollte mobilisiert werden, um die streikenden Krankenhausbeschäftigten zu verteidigen.

Mit der Aufstellung von Franziska Giffey (die sich gegen Enteignungen ausgesprochen hat) als Spitzenkandidatin bekennt sich die Berliner SPD zur Ablehnung des Volksentscheids über Wohneigentum und unterstreicht ihre Unterstützung für den rassistischen Kreuzzug gegen „kriminelle Clans“, der sowohl polizeilichem als auch faschistischem Terror das Alibi liefert. Die Linkspartei muss auch Verantwortung für die Polizeirazzien in den Shisha-Bars und die ständigen Repressionen gegen Linke und Immigranten im Rahmen der Regierungskoalition übernehmen. Als in Leipzig am 18. September Tausende von antifaschistischen Demonstranten für die Freilassung von Lina E. demonstrierten – die von der Polizei und ihrer Soko Linx fälschlich beschuldigt wird und sich keiner Straftat schuldig gemacht hat – distanzierte sich die örtliche Linkspartei von ihrer Stadträtin Juliane Nagel, die von der bürgerlichen Presse für ihre Anmeldung der Demo heftig angegriffen wurde.

Da die Linkspartei jede Glaubwürdigkeit als Oppositionspartei verloren hat, fällt es den falschen „Revolutionären“, die in ihr vergraben sind oder um sie herumschwirren, schwer, überzeugende Argumente zu finden, um sie zu wählen. In einer Erklärung mit dem Titel „Wahlprogramm entsorgt“ (7. September) beklagt Sascha Stanicic, Sprecher der Sozialistischen Organisation Solidarität (SOL) und der Antikapitalistischen Linken in der Linkspartei, dass Wissler & Co. die Kongresse, das Programm und die Mitgliedschaft der Partei mit Füßen getreten haben. Das ist natürlich nur das übliche Vorgehen von sozialdemokratischen Parteien überall. Aber SOL1 hat einen „cleveren“ Plan, um ein paar Wähler zu halten, die sonst zur SPD oder zu den Grünen abwandern würden: Die Linke soll eine SPD-Grünen-Regierung parlamentarisch unterstützen, ohne sich formell an ihr zu beteiligen.

Von außerhalb der Partei warnt ein Flugblatt von ArbeiterInnenmacht vom 8. September vor Angriffen von CDU, SPD und Grünen. Über die Linkspartei heißt es, sie werde im Berliner Senat „in Geiselhaft" genommen. Mit diesem Alibi lobt ArbeiterInnenmacht2 die „fortschrittlichen" Forderungen der Linken und zählt auf, was die Partei im Parlament alles Schönes machen könnte. Ein Artikel über das „Sofortprogramm“ am nächsten Tag räumt dann zwar ein, dass die Partei zum Anhängsel der SPD/Grünen geworden ist, schließt aber mit der Aufforderung an die Mitglieder, für die Rückkehr zum ursprünglichen zartrosanen Programm der Partei zu kämpfen. Aber das ist nur Augenwischerei für ihre Politik der „kritischen Unterstützung“ der Linken bei den Wahlen (ArbeiterInnenmacht, 20. September).

Die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)3 wiederum positioniert sich etwas weiter links und ruft dazu auf, bei der Wahl eine ungültige Stimme abzugeben. Der chamäleonartige Charakter von RIO drückt sich einerseits in der Aufforderung an die Oppositionsgruppen in der Linkspartei aus, innerhalb der Partei gegen eine Regierungsbeteiligung zu kämpfen, und andererseits in der Forderung nach einer neuen breiten Wahlpartei einige Schritte links von ihr. Eine solche Partei gibt es bereits in Frankreich – die Nouveau Parti Anticapitaliste (Neue Antikapitalistische Partei) –, die sich an den „linken" Populisten Mélenchon anlehnt und nun RIOs französische Genossen aus ihr hinausgetrieben hat.

In seiner Wahlberichterstattung schreibt RIO, „Wir brauchen revolutionäre Abgeordnete im Parlament –  wie in Argentinien“ (22. September) und „Warum wir eine Linke brauchen, die finanziell unabhängig vom Staat ist“ (12. September). Doch ihre argentinische Mutterpartei macht seit Jahren Wahlkampf als Teil der Arbeiter- und Linksfront (FIT, jetzt FIT-Unidad), einem Wahlbündnis mit einem durch und durch reformistischen Programm, und ist finanziell sehr abhängig von den finanziellen Zuschüssen und Abgeordnetengehältern, die sie vom argentinischen kapitalistischen Staat erhält, ja lebt sogar davon. Für Details siehe unseren Artikel „Die Linksfront in Argentinien: Ein reformistisches Wahlkartell“ (The Internationalist Nr. 53, September-Oktober 2018).

Alle diese „sozialistischen“ Gruppen sind auf verschiedene Weise mit der Linkspartei verflochten, und ihre unterschiedlichen taktischen Rezepte sind alle auf diese reformistische Partei ausgerichtet, entweder in dem vergeblichen Versuch, sie nach links zu drängen oder ein Stück von ihr wegzureißen. Wenn sie überhaupt von „Sozialismus“ sprechen, dann meinen sie eine sozialdemokratische Regierung des kapitalistischen Staates. Die Internationalistische Gruppe hingegen besteht darauf, dass eine sozialistische Revolution, die die proletarische Macht errichtet, nicht durch endlose Wahlkampagnen für das bürgerliche Parlament zustande kommt, sondern durch den Kampf für ein revolutionäres Programm durch unsere eigenen Arbeiterorganisationen – Gewerkschaften, Fabrikkomitees, Verteidigungsgarden und schließlich Arbeiterräte. Der Ausgangspunkt ist der Zusammenschluss des Kerns einer bolschewistisch-internationalistischen Partei als Teil des Kampfes zur Wiederschmiedung einer authentisch trotzkistischen Vierten Internationale.  ■


  1. 1. SOL ist verbunden mit dem von Peter Taaffe angeführten Committee for a Workers International (Komitee für eine Arbeiterinternationale).
  2. 2. ArbeiterInnenmacht ist verbunden mit der League for the Fifth International (Liga für die Fünfte Internationale) der britischen Gruppe Workers Power.
  3. 3. RIO ist der deutsche Ableger der Fracción Trotskista, angeführt von der argentinischen Partido de Trabajadores Socialistas (Sozialistische Arbeiterpartei).